Blutspur in East End
Tricia sich eine Wohnung mit einer gewissen Eve Sutton teilte. Carol sollte als dritte Mitbewohnerin einziehen.
Nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatte, merkte sie schnell, dass London eine riesige, unübersichtliche Stadt war. Man konnte sich leicht verirren und in die falsche U-Bahn steigen. Doch irgendwann war Carol schließlich an ihrem Ziel angelangt und schleppte erschöpft ihre beiden Reisetaschen aus der Station Camden Town. Nach der langen Zeit in den stickigen überfüllten Waggons war ihr nicht mehr kalt, ganz im Gegenteil. Der Schweiß rann ihr über den Rücken, und ihr Gesicht war knallrot, wie sie im Vorbeigehen an einer Schaufensterscheibe erkannte. Carols Spiegelbild sah genervt und abgekämpft aus.
Auf der Camden High Street ging es turbulent zu. Fliegende Händler boten exotische Snacks an, und aus den offenen Fenstern der Pubs wummerten die Bässe. Man sah Asiaten und Afrikaner, kamerabehängte Touristen und zerlumpte Bettler. Der Stadtteil war genauso lebendig, wie Tricia ihn immer beschrieben hatte. Doch momentan hatte Carol für die faszinierende Vielfalt von Camden Town kein Auge. Sie wollte nur noch eins – nämlich ihre Freundin treffen. Carol fragte eine alte Dame nach dem Weg, die ihr Auskunft geben konnte. Keine fünf Minuten später bog sie in die Seitenstraße ab, wo Tricia lebte.
Carols Herz krampfte sich zusammen, als sie den Streifenwagen erblickte. Er parkte auf dem Bürgersteig vor einem der schmalen Reihenhäuser, aus denen der ganze Straßenzug bestand. Das üble Gefühl verstärkte sich, als Carol näher kam. Das Polizeiauto stand tatsächlich vor dem Haus, in das sie einziehen wollte.
Der Eingang wurde von einem uniformierten Bobby bewacht. Er schaute Carol ins Gesicht, als sie ratlos vor dem Gebäude stehen blieb. Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie tun sollte. So einsam und verloren hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt.
„Bitte gehen Sie weiter, Miss“, sagte der Polizist freundlich. Er konnte nicht viel älter sein als sie. „Hier gibt es nichts zu sehen.“
„Ich wohne aber hier.“ Carol war geschockt, weil sich ihre Stimme plötzlich so dünn und brüchig anhörte. „Das heißt, ich werde ab heute hier wohnen. Meine Freundin wollte mich vom Bahnhof abholen, aber sie ist nicht gekommen.“
Der Bobby hob seine Augenbrauen so weit, dass sie beinahe den Rand seines blauen Helms berührten. „Ihre Freundin – meinen Sie Tricia Lloyd?“, fragte er zögernd.
„Ja, Tricia.“ Carol wurde beinahe hysterisch. „Was ist mit ihr? Ist ihr etwas zugestoßen?“
Der Polizist trat zur Seite und gab den Weg frei. „Am besten reden Sie mit Inspektorin Shepley. Ich nehme Ihr Gepäck, Miss.“
Carols Nerven lagen blank, und ihr wurde schwindelig. Sie ließ die Reisetaschen auf der Straße stehen und rannte ins Haus. In dem schmalen Flur führte eine steile Treppe ins erste Stockwerk. Dort oben war es ruhig, während aus einem Raum am Ende des Ganges Stimmen drangen. Carol eilte dorthin und riss die Tür auf, ohne anzuklopfen.
In der Küche saßen drei Personen an einem Tisch. Eine Frau im Alter von Carols Mutter, eine junge Frau Anfang zwanzig sowie ein weiterer uniformierter Polizist. Die ältere Frau hatte einen Schreibblock vor sich und blickte ungehalten an Carol vorbei. Hinter ihrem Rücken war nämlich der andere Bobby erschienen, der draußen gestanden hatte.
„Konstabler Baker, ich wollte nicht gestört werden. Das habe ich ernst gemeint“, sagte sie.
„Entschuldigen Sie, Madam. Aber das hier ist eine Freundin des – Opfers.“
„Des Opfers?“ Carols Stimme hatte noch nie so schrill geklungen. „Ich will sofort wissen, was mit Tricia passiert ist!“
Die ältere Frau stand auf. „Ich bin Inspektorin Victoria Shepley von der Metropolitan Police. Leider wurde Ihre Freundin Tricia Lloyd am gestrigen Abend ermordet, und zwar nur einen Steinwurf von hier entfernt. Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen.“
Wie durch einen Nebelschleier drangen die Worte zu Carol, bevor ihr schwarz vor Augen wurde. Wenn der Polizist sie nicht gehalten hätte, wäre sie zu Boden gegangen. Irgendwie gelang es den Anwesenden in der Küche, sie auf einen Stuhl zu setzen.
Die junge Frau holte ein Medikament aus der Hausapotheke und reichte es ihr mit einem Glas Wasser. „Hier, Carol. Bitte nimm das. Ich bin Eve, Tricias Mitbewohnerin. Du darfst nicht zusammenbrechen, das hätte Tricia nicht gewollt.“
Carol gehorchte und schluckte die Tablette. Wenige
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