Blutspur in East End
Minuten später ging es ihr wirklich schon etwas besser. Aber was hieß das schon? Tricia war tot. Wie sollte Carol nun weiterleben? Sie kannten sich von frühester Kindheit an. Es war, als sei ein Teil von Carol selbst gestorben.
Erst nach einer Weile löste sich das dumpfe Gefühl auf, und Carol konnte die Tränen über den entsetzlichen Verlust Tricias nicht mehr zurückhalten. Eve legte schwesterlich den Arm um ihre Schultern, aber das nutzte nicht viel.
Die Inspektorin war eine resolute Frau, die an eine strenge Lehrerin erinnerte. Dazu passte auch der konservative Hosenanzug, den sie trug. Victoria Shepley war eine Frau von spröder Schönheit, die ihre Attraktivität hinter äußerer Härte verbarg.
„Sie müssen Carol Garner sein. Eve Sutton hat uns mitgeteilt, dass Tricia Lloyd sie heute erwartet hat. In der Aufregung hat leider niemand daran gedacht, Sie zu benachrichtigen. Sie sind jetzt sehr aufgewühlt, Miss Garner. Ich werde morgen wiederkommen, um Sie zu befragen. Allerdings sind die ersten 48 Stunden nach einem Mord entscheidend, um den Täter zu fassen. Je mehr Zeit vergeht, desto größer sind die Chancen des Täters, zu entkommen.“
Carol biss die Zähne aufeinander, trocknete ihre Tränen und putzte sich die Nase. Sie war von einem Gedanken besessen: Der Mörder durfte nicht länger frei herumlaufen. „Ich will mithelfen, diesen Mistkerl zu fangen. Stellen Sie jetzt Ihre Fragen“, sagte sie mit fester Stimme.
„Danke, Miss Garner. Sie sind sehr tapfer. – Hatte sich Tricia Lloyd in letzter Zeit verändert? Wirkte sie bedrückt? Fühlte sie sich verfolgt?“
Carol schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Sie war meine beste Freundin. Wir haben uns immer gegenseitig alles erzählt. Wenn da etwas gewesen wäre, hätte ich es gewusst. Allerdings haben wir seit einigen Monaten nur telefoniert und gechattet, weil ich bis heute Morgen noch in Shrewsbury war.“
„Wie die meisten Frauen habe auch ich eine beste Freundin. Und doch gibt es Dinge, die ich noch nicht einmal ihr erzählen würde“, erwiderte die Inspektorin freundlich.
„Das mag ja sein, aber ich würde spüren, wenn Tricia mir etwas verheimlicht hätte. Das wäre mir sofort aufgefallen.“
Noch während Carol diese Sätze von sich gab, kamen ihr selbst Zweifel auf. Eigentlich stimmte ihre Aussage nämlich nicht. Carol hatte Tricia eine Schwindelei nur dann angemerkt, wenn sie ihr dabei ins Gesicht sah. So wie damals, als Tricia damit geprahlt hatte, dass der Mädchenschwarm Tommy Harrow sie geküsst hätte. Am Telefon hatte Carol ihr jedes Wort geglaubt. Doch als sie sich dann trafen, konnte Carol die Lüge sofort durchschauen. Damals waren sie beide vierzehn gewesen. Das lag schon lange zurück. Aber Carol hoffte einfach darauf, dass Tricia ihr in letzter Zeit nichts verschwiegen hatte.
„Wir haben von Miss Sutton erfahren, dass Tricia Lloyd gestern Abend an einer Stadtführung über Jack the Ripper teilnehmen wollte. Mehr wusste die Mitbewohnerin nicht. Ist Ihnen bekannt, ob das Opfer dort mit jemandem verabredet war? Oder wollte sie allein hingehen?“
Carol war sprachlos. Eine Jack-the-Ripper-Tour? Davon hatte Tricia also am Telefon so geheimnisvoll gesprochen. Von einer Verabredung war aber niemals die Rede gewesen.
„Tricia sagte am Telefon, dass sie noch etwas vorhätte. Aber sie wüsste nicht, ob sie den Mut dazu aufbringen würde.“
Inspektorin Shepley nickte und warf ihren uniformierten Kollegen einen vielsagenden Blick zu. „Tricia Lloyd hat Ihnen also nicht konkret gesagt, was sie vorhatte.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Nein, das nicht.“
„Sie hatte also sehr wohl Geheimnisse vor Ihnen, Miss Garner“, erwiderte die Inspektorin.
„Hey, was soll das denn? Sie kannten Tricia nicht. Sie war ein großer Fan von mysteriösen Geschichten, genau wie ich. Wahrscheinlich wollte sie diese Jack-the-Ripper-Tour nur testen.“ Carol hatte das Gefühl, ihre Freundin verteidigen zu müssen. „Ja, genau! Und später hätte sie dann den Rundgang mit mir gemeinsam gemacht, als Überraschung sozusagen“, fügte sie hinzu.
Carol kamen erneut die Tränen. Nie wieder würde sie etwas mit ihrer besten Freundin unternehmen können.
Die Inspektorin erhob sich und legte eine Visitenkarte auf den Tisch. „Ich schätze, das reicht für heute. Sie können mich jederzeit anrufen, falls Ihnen noch etwas einfällt, Miss Garner. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.“
„Wie wird Mord eigentlich
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