Blutspur
denken, dennoch gab ich mir Mühe, meinen Kopf frei zu bekommen.
„ Ich werde dich gleich anfassen, erschrecke dich nicht, das konnte den Zufluss stören. Sei darauf gefasst und erwarte meine Berührung.“
Ich nickte leicht und atmete ganz ruhig ein und aus. Seine Hände fanden meine Stirn, legten sich mit Zeige- und Mittelfinger an meine Schläfen. Die Kühle seiner Haut durchdrang mein Inneres, flutete meinen Verstand und setzte ihn unter Druck. Ich spürte, wie etwas in meinen Kopf eindrang, sich gewaltsam Gehör verschaffte, nur, ohne wehzutun. Abrupt blitzten Bilder auf, ich zuckte zusammen, vernahm Darius Stimme, die beruhigend auf mich einsprach. Meine Konzentration war wieder da, die Bilder wurden schärfer.
Eine Burg … ein Wald … Dunkelheit … eine Zugbrücke, die bewacht wurde … Fackeln, ein schweres Tor … es öffnete sich. Dahinter lag ein Garten, gesäumt von Wildrosen und Narzissen, in der Mitte ein Springbrunnen mit engelsgleichen Figuren, die Harfe spielten. Das Wasser plätscherte vor sich hin. Es war, als liefe ich durch den Hof, die breite Treppe hinauf, spürte den kalten Stein unter meinen nackten Füßen.
Der Thronsaal lag hinter der Eingangshalle. Zielsicher fand ich ihn und lief hinein. Und da sah ich sie. Voller Würde und Anmut saß sie auf ihrem weinroten Thron, umgeben von Lakaien und edlem Volk, das sich in vornehmer Robe um sie scharrte und ihr zuprostete. Meine Mutter. Lana, die Vampirkönigin. Ich konnte mich nicht an ihrem Anblick satt sehen. Sie war mir so ähnlich. Die gleichen blonden Locken und großen grünen Augen. Sie war ein wenig größer und schlanker als ich und wirkte in ihrem mitternachtsblauen Kleid wie eine Elfe.
Diese Grazie, die sie ausstrahlte, vermischt mit solcher Anmut und Schönheit machte mich fassungslos. Sie wirkte wahrlich wie eine Herrscherin, die den Thron zurecht bestiegen hatte. Ich hörte die Vampire durcheinander reden, eine Feier war im Gange. Sie sprachen davon, welches Glück sie mit Lana hatten, und dass sie erfolgreich eine ganze Sippe von Dunklen ausgeschaltet hätte. Sie brachte den Reinen Frieden und ihr war es wichtig, einhellig mit den Mensch zu leben. Man trank, lachte und stieß ausgelassen auf den Sieg an.
Ich erhaschte gerade noch einen Blick auf meine Mutter, dann wurde ich jäh aus der Szene herausgesaugt. Alles verschwamm zu einer bunten Fotografie, bevor sich daraus ein neues Bild ergab. Ich schluckte schwer, als ich wieder meine Mutter sah, die auf einem mit weißen Stoff bezogenen Bett saß, ein Baby in den Armen wiegte und glücklich einen Mann ansah. Meinen Vater … John. Ein Mensch, der sich in sie verliebt hatte. Und dieses kleine Bündel, das sie beide anstrahlten, war ich. Ich schlief tief und fest, hielt mit meiner kleinen Hand einen Finger meiner Mutter umklammert. Der Anblick wärmte mein Herz und brach es gleichzeitig entzwei. Es war so schmerzend real, ich konnte die Zuneigung der beiden in mir spüren, fühlte die Liebe, die sie empfanden. John, ein großer Mann mit hellblauen Augen und dunkelblonden Haaren, streichelte sanft meine Wange.
Das Bild wurde wieder unklar. Nein, wollte ich Darius zurufen, bitte noch nicht! Lass mich noch ein Weilchen zusehen, aber ich besaß keine Kontrolle über meinen Körper und wurde weitergetragen.
Nun war ich Zeuge eines Gefechtes. Inmitten dieses Getümmels befand sich meine Mutter, die wie eine Amazone kämpfte. Sie war flink und kreativ, was ihre Fähigkeiten betraf. Mit einem Schlag schleuderte sie den Gegner auf den Boden und brach ihm dann das Genick. Ich bewunderte ihre Kaltblütigkeit, die mich aber auch in Angst versetzte. Würde ich auch so agieren? Mein Vater schoss mit speziellen Kugeln, so vermutete ich, und traf einige Dunkle in den Kopf oder in die Brust, was sie bewegungsunfähig machte oder sie ohnmächtig werden ließ.
Abrupt schlug ich die Augen auf und war wieder in Darius Zimmer. Schwer atmend kam ich langsam wieder zu mir.
„ Oh mein Gott“, hauchte ich und fühlte die Tränen, die mir über die Wangen liefen. „Warum hast du mich herausgeholt? Ich möchte sie nochmal sehen, bitte.“
Darius setzte sich wieder hin.
„ Das wäre zu viel gewesen, glaube mir. Die letzte Erinnerung, die ich habe, bricht an der Stelle ab, weil niemand weiß, was dann geschah. Die beiden sind von der Insel, auf der der Krieg stattfand, verschwunden. Bis heute weiß niemand, wer sie umbrachte und wie es demjenigen gelungen war,
Weitere Kostenlose Bücher