Blutspuren
werde er sich mit einem Gewerbe als Messer- und Scherenschleifer eine neue Existenz aufbauen. Möglicherweise, so mutmaßt Peter Huck, hängt der Selbstmord seines Bruders damit zusammen. Vielleicht haben ihn die Leute geneppt oder die ganze Sache ist geplatzt …
Tage verstreichen. Auch Nachbarn des toten Hans-Werner Huck sollen aussagen, wann sie ihn letztmalig sahen. »Das muß der 6. oder 7. April gewesen sein«, versichern sie übereinstimmend. Nur über das Privatleben des Kraftpakets ist ihnen nichts bekannt.
Die politisch brisante Mitteilung des Bruders erweckt indes bei der Kriminalpolizei des VPKA erstaunlicherweise nur halbe Aufmerksamkeit, denn so recht will man ihm die Geschichte mit der vermeintlichen Schleusung nicht abnehmen. Womöglich ist sie nur ein plumpes Ablenkungsmanöver. Ahnt Peter Huck, daß sich die örtliche Kripo aus anderem Grund für ihn interessiert? Denn er ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt, mußte wegen Eigentumsdelikten bereits mehrmals für einige Monate hinter Gitter und befindet sich lediglich auf Bewährung in Freiheit. Hinter seinem Rücken sammeln die bienenfleißigen Ermittler erneut Informationen über ihn. Sie vermuten längst, er könne weitere Diebstähle begangen haben. Doch diese Männer sind für das Eigentumsressort zuständig. Denn: Die Untersuchung verdächtiger Todesfälle obliegt dem Leichensachbearbeiter aus dem Kommissariat 3. Der aber geht nur sehr halbherzig der Frage nach, warum keine Vermißtenanzeige erstattet wurde, stellt die Recherchen in dieser Richtung sogar ein. Nur der Umstand, daß im Bett des Toten ein leeres Ätherfläschchen gefunden wurde, macht ihn argwöhnisch. Ließe sich nämlich im Körper des Toten Äther nachweisen, widerspräche dies einer Selbstmordversion und könnte den Verdacht einer vorsätzlichen Tötung begründen. Deshalb beantragt er beim Kreisstaatsanwalt eine Gerichtssektion, die nun auch angeordnet wird.
Endlich, am 31. Mai 1979, also acht Tage nach dem Auffinden des Toten, findet im Jenaer Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik die Autopsie statt.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll:
»Zum Zeitpunkt der Sektion wies die Leiche neben starker Hautfäulnis erhebliche Hautvertrocknungen im Sinne beginnender Mumifizierung auf. Hingegen waren Muskulatur und innere Organe, mit Ausnahme des Gehirns, nur gering faulig verändert. Es befand sich eine tiefe Strangfurche am Hals mit liegendem Strangwerkzeug (Hanfstrick mit einfacher Zugschlinge).
Die Blutungen in beiden Kopfnickermuskeln am Ansatz der Schlüsselbeine und im Gewebe am rechten oberen Schilddrüsenpol sowie die Punktblutungen in den bindegewebigen Hüllen der Schläfenmuskeln sind Ausdruck des Erhängens zu Lebzeiten. Andere Zeichen von Gewaltanwendung waren an der Leiche nicht vorhanden.
Grobsichtig fand sich kein Anhalt für krankhafte Organveränderungen, das Gehirn war frei von Blutungen.
Die im Blut festgestellte Alkoholkonzentration von 1,0 Promille erlaubt keine konkrete Aussage über den Grad der Alkoholisierung, da ein Teil dieses Wertes durch Fäulnisalkohole bedingt ist.
Äther konnte im Blut nicht nachgewiesen werden. Selbst bei Einnahme von Äther wäre dies auf Grund der Fäulnisvorgänge und der Zeit zwischen Todeseintritt und Sektion nicht zu erwarten, da dieser sich verflüchtigt haben würde.
Aus dem Grad der Leichenveränderungen kann abgeleitet werden, daß der Tod des Huck bereits vor mehreren Wochen eingetreten ist, wobei der 6.4.1979 durchaus Todestag sein kann …«
Der Staatsanwalt hat nunmehr keine weiteren Einwände gegen eine Leichenfreigabe. Da die gerichtsmedizinischen Befunde der bisherigen Selbstmordversion nicht widersprechen, unterbleibt eine weitere kritische Prüfung, ob Hans-Werner Hucks Tod womöglich auf andere Art verursacht wurde. Lediglich die vermeintlich von innen verschlossene Wohnung wird zur Bestätigung eines Selbstmordes herangezogen. Aber weder ein überzeugendes Motiv, noch ein Abschiedsbrief wurden gefunden. Der Zweck des leeren Ätherfläschchens im Bett des Toten blieb ebenso ungeklärt wie die Frage, ob andere Personen im Besitz eines Zweitschlüssels für Hans-Werner Hucks Wohnung gewesen sein könnten.
Leichtfertig schließt der Sachbearbeiter für Todesermittlungen den Fall als Suizid ab. »Ein den Tod Hans-Werner Hucks verursachendes, schuldhaftes Handeln eines anderen kann nicht nachgewiesen werden.« Wie sich Monate später herausstellt, ein verhängnisvoller Irrtum mit empfindlichen
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