Blutspuren
Krüger verkauft. Prompt überreicht dieser den neuen Kaufvertrag. Dem Verkäufer ist es egal, er hat ja sein Geld. Er liest, prüft, unterschreibt. Huck und Krüger bauen die Batterie in den Wagen ein, starten und fahren zurück nach Erfurt.
Als Hauptmann Schmelling mit seinen Männern das ihm übergebene Material der »Todesermittlungssache Hans-Werner Huck« analysiert hat und die Strategie weiteren Vorgehens festlegt, sind ihm freilich die geschilderten Tatvorgänge unbekannt. Jedoch stößt er in diesem Verfahrensstadium bereits auf Situationsfehler, die als ernstzunehmende Indizien den vermeintlichen Selbstmord widerlegen und statt dessen einen Mordverdacht allemal rechtfertigen:
Die Kriminalisten sind nämlich schnell dahinter gekommen, daß am 9. April 1979 Peter Huck und Hansjörg Krüger, nicht aber Hans-Werner Huck, den PKW aus Elxleben abholten. Folgerichtig müssen sich die beiden sicher gewesen sein, dieses Geschäft ungestört abwickeln zu können: Grund: Sie wußten, Hans-Werner lebt nicht mehr. Die Angaben des Autoverkäufers, der Kaufvertrag wäre deshalb geändert worden, weil der ursprüngliche Käufer angeblich die Fahrprüfung nicht bestanden habe, offenbart Peter Hucks vorsätzliche Falschaussage. Tatsächlich besaß sein Bruder seit mehreren Jahren einen Führerschein. Die Täuschung des Autoverkäufers gelang nur, weil Peter Huck und Hansjörg Krüger die Gewißheit hatten, daß Hans Werner das Vorhaben nicht mehr durchkreuzen kann.
Bei den Recherchen zur Persönlichkeit des toten Hans-Werner Huck finden die Ermittler keinen erklärenden Hinweis auf den möglichen Verwendungzweck des Äthers. Abgesehen davon: Der Leichensachbearbeiter des VPKA, der damals den Todesfall untersuchte, ist niemals der Frage nachgegangen, warum sich auf dem leeren Fläschchen unter dem Kopfkissen des Toten keine Fingerspuren befanden, obwohl dieser Umstand beweist, daß sie vermieden werden sollten. Weiter: Der ungewöhnliche Fundort des Fläschchens weist auf eine bestimmte, wenn bisher auch noch unbekannte Rolle des Äthers in der Dynamik des tödlichen Geschehens hin. Und schließlich: Da sich der Apotheker recht zuverlässig erinnern kann, am 6.4.1979 einer blaßgesichtigen Blondine zwei Ätherfläschchen verkauft zu haben, liegt der Verdacht eines Zusammenhangs mit dem Todesfall nahe, zumal die von ihm abgegebene Personenbeschreibung der Kundin durchaus auf Vera Hafenberg paßt. Und diese wiederum zählt zum sozialen Umfeld Hans-Werner Hucks.
Schmellings Mitarbeiter finden aber auch heraus, daß Peter Huck im Zusammenhang mit der durch das VPKA geführten Todesursachenermittlung angegeben hatte, seinem Bruder die Zweitschlüssel der Wohnung lange vor dem 6. April 1979 zurückgegeben zu haben. Unerklärlicherweise glaubte man ihm damals. Aber niemals wurde nach diesen Schlüsseln gefahndet, denn in Hans-Werners Wohnung befanden sie sich nicht.
Und schließlich stoßen Schmellings Ermittler auf ein bisher unbeachtetes Protokoll. Es ist der Bericht des Leichensachbearbeiters über die Fundortuntersuchung vom 23. Mai 1979, der Tag der Entdeckung des Toten. Darin wird nebensächlich beschrieben, daß auf Hans-Werner Hucks Küchentisch unter anderem ein geöffneter, an ihn gerichteter Brief mit Poststempel vom 17. April 1979 gelegen habe. Aber: Hätte er diesen Brief selbst geöffnet, dann würde zwangsläufig eine mindestens um zehn Tage differierende, spätere Todeszeit zutreffen. Eine derartige Annahme stünde jedoch im Widerspruch zu den reichlich vorhandenen Aussagen der Zeugen, die Hans-Werner Huck letztmalig am 6. oder 7. April gesehen haben. Fazit: Nach dem 17. April 1979 muß ein Unbefugter sich in der fraglichen Wohnung aufgehalten haben, wohl wissend, daß dort der verwesende Leichnam des Hans-Werner Huck am Fenster hängt. Wer zu derlei fähig ist, muß grenzenlos kaltschnäuzig und abgestumpft sein. Merkmale, die durchaus auf Peter Huck zutreffen.
Die Situationsfehler werden zum Kernstück der folgenden Vernehmungen. Da sich Huck in Haft befindet, steht er bereits zur Verfügung. Doch als er mit dem strafrechtlichen Vorwurf bekannt gemacht wird, nunmehr auch unter Mordverdacht zu stehen, ist er ziemlich außer sich, will wissen, »welches Schwein ihn in die Pfanne hauen will« und gerät von einer Affektaufwallung in die nächste. Doch der Sturm legt sich schnell. Mit der Aussage seines Zellenkumpan konfrontiert, erkennt er die Zwickmühle, in der er sich befindet, aus der es kein Entrinnen gibt.
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