Blutspuren
bis nach Altenberg, wo sie sich wieder mit der F 170 vereinigt.
Ende des Jahres 1960 wurde der ländliche Frieden dieser stillen, beliebten Urlauberidylle empfindlich gestört: Ein Mord war geschehen, ungewöhnlich und grausam. Entsetzen breitete sich aus. Fast alle kannten das Opfer und dessen Familie. Monatelang tappte die Polizei im Dunkeln.
Unterdessen kursierten Gerüchte, verbreiteten sich wilde Spekulationen über einen möglichen Täter und sein Motiv. Hinter vorgehaltener Hand wird ein biederer Fleischermeister der Tat verdächtigt. Lange Zeit bot das scheußliche Verbrechen ausreichenden Stoff für abendliche Stammtischgespräche.
Als der Täter schließlich dingfest gemacht wurde, erfaßte die braven Bürger erneut das Grauen, denn fast alle kannten ihn und seinen blütenweißen Leumund.
Falkenhain, am 15. Dezember 1960. Es ist Donnerstagabend kurz nach 20.00 Uhr. Volkspolizeimeister Hechtmann (32), ein etwas hölzern wirkender Mann mit dünnen Lippen und glanzlosen Augen, zuständiger Abschnittsbevollmächtiger, sitzt zu dieser späten Stunde an seinem Schreibtisch und tippt auf einer alten Schreibmaschine irgendwelche Berichte. Überstunden muß er machen, sie sind die Würze aller Polizeiarbeit.
Aufgelöst und mit den Nerven am Ende betritt der Tischler Dieter Bibrach (34) dessen Büro: »Mensch, Walter, meine Kleine ist weg. Ich weiß nicht mehr weiter!«
»Nun beruhige dich und setz dich erst mal«, tröstet ihn der Uniformierte, bietet seinem abendlichen Gast einen Stuhl an und hört geduldig zu, was dieser zu berichten hat:
Steffi, seine 13jährige Tochter, wäre heute über Mittag in Dönschten beim Friseur gewesen, und kurz vor 14.00 Uhr sei sie von dort weggegangen. Das habe ihm der Meister bestätigt. Eigentlich hätte sie spätestens 14.30 Uhr zu Hause sein müssen. Doch bisher ist sie nicht erschienen, und niemand hat sie gesehen. Auch bei ihren Freundinnen hat sie sich nicht blicken lassen. Nun sei er in großer Sorge. Denn Steffi wäre ein zuverlässiges, vorsichtiges Mädchen, das sich noch niemals derart verspätet hätte und keinesfalls mit Fremden mitfahren oder sich herumtreiben würde. Er befürchte, daß seiner Tochter etwas zugestoßen sein könnte.
Der Polizist versucht auf seine Weise, den sichtlich erregten und besorgten Mann zu beruhigen: »Ich verstehe das, Dieter, ich habe auch eine kleine Tochter. Noch sehe ich keine Gefahr: So kalt ist es noch nicht, und Schnee ist auch noch nicht gefallen. Außerdem, dein Mädchen ist fast erwachsen, kennt jeden Stein und jeden Weg in unserer Gegend. Was soll denn passieren, jetzt sind ja kaum Urlauber hier?«
»Vielleicht ist sie nach der CSSR entführt worden«, mutmaßt Bibrach phantasievoll.
»Gott bewahre, doch nicht bei uns. Wer traut sich denn in unsere Gegend? Außerdem ist die Transitstraße nach Zinnwald zu weit entfernt«, versucht Hechtmann den Vater weiter zu beruhigen, sagt dann aber, in dem er zum Telefonhörer greift: »Ich rufe im Kreiskrankenhaus an, wir wollen einen Unfall gleich ausschließen. Und wenn es dich beruhigt, suchen wir die Strecke bis Falkenhain gleich noch mal ab!«
Dieter Bibrach ist einverstanden. Hechtmann spricht mit der Krankenhausaufnahme in Dippoldiswalde: Fehlmeldung.
Anschließend startet der ABV sein Motorrad, Bibrach auf dem Soziussitz. Sie fahren im Schrittempo mehrmals die Straße nach Dönschten auf und ab und kontrollieren, soweit es bei der Dunkelheit möglich ist, das dicht bewaldete Gelände am Rande der Fahrtroute. Vergeblich. Betretene Gesichter bei den Männern. Von dem verschwundenen Mädchen keine Spur. Nach zwei Stunden stellen sie ihre Bemühungen ein.
Doch bevor sie sich trennen, kündigt VP-Meister Hechtmann an: »Wenn sie bis morgen nicht zurück ist, nehme ich ’ne Anzeige auf, dann kann ich Suchkräfte beim VPKA anfordern!«
Schon am nächsten Morgen ist Dieter Bibrach wieder zur Stelle, die Vermißtenanzeige zu erstatten. Seine Augen sind dunkel umrandet. Er und seine Frau konnten in der vergangenen Nacht keinen Schlaf finden. Die Hoffnung, daß Steffi heimkehren könnte, hatten die Eltern bald aufgegeben. Von innerer Unruhe getrieben, suchten sie deshalb bis in die frühen Morgenstunden noch einmal den Weg ab, den ihre Tochter nach Verlassen des Friseurs benutzt haben müßte. Doch ihre Anstrengungen blieben vergebens. Jetzt muß die Polizei helfen.
VP-Meister Hechtmann ist keineswegs mehr so zuversichtlich wie am gestrigen Abend. Er hat bereits mit der Kripo in
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