Blutspuren
der VP-Inspektion Treptow sind erschienen, um erste Befragungen durchzuführen und den Tatort zu sichern. Sie bilden aber nur die Vorhut der Mordkommission. Henry Stutzbach, der grinsende Mann mit der dunklen Brille wiederholt seine makabre Aussage haargenau. Widerstandslos läßt er sich festnehmen und ins VP-Präsidium am Alexanderplatz bringen.
Entsetzliche Gewißheit – Stutzbach hat die Wahrheit gesagt: Jeweils unter den angegebenen Anschriften findet die Kriminalpolizei zwei weitere tote, nackte Frauen. Auch sie sind entsetzlich verstümmelt: Würgemale, Herzstiche, ihre Leiber mit langen, tiefen Schnitten aufgeschlitzt. Die Mordkommission muß gleichzeitig drei artgleiche Tatorte untersuchen. Das ganze Wochenende ist damit ausgefüllt. Schnell stellt sich heraus, daß die Tatzeiten aller drei Morde nur um Stunden auseinander liegen und die beiden Opfer in der Linien- und Kiefholzstraße Henry Stutzbachs Exgeliebte waren.
Am Abend seiner Festnahme wird er ärztlich untersucht. Ergebnis: Der Mörder wirkt innerlich gefaßt, teilnahmslos, erschöpft. Ansonsten aber hat er alle Sinne gut beieinander. Sein Körper ist mit Kratz- und Blutspuren seiner Opfer übersät. Alle Befunde werden fotografisch dokumentiert. Als Stutzbach gefragt wird, ob er die anderen beiden Frauen auch »seziert« habe, grinst er wieder diabolisch und sagt: »Ja ja, aber nur so zum Spaß. Sollte nur Probe sein. Das Material war Ausschuß, ich wollte mich auf die Prüfung vorbereiten …, wollte sogar dekapitieren, ist aber nicht gelungen, hatte nur unzulängliches Werkzeug …«
»Haben Sie alle drei Frauen erst erwürgt und dann seziert?« will man von ihm wissen.
»Was denken Sie von mir«, erhitzt er sich, »ich mache doch keine Vivisektion!«
Die Autopsie der drei toten Frauen wird im Institut für gerichtliche Medizin in der Hannoverschen Straße vorgenommen. Stutzbachs Behauptung stimmt. Alle drei Frauen starben tatsächlich durch Erwürgen in Kombination mit Herzstichen. Das Aufschneiden ihrer Körper erfolgte postmortal und läßt gewisse Rückschlüsse auf Kenntnisse in der pathologischen Sektionstechnik zu.
Für die Mordkommission gibt es in den nächsten Wochen alle Hände voll zu tun: Stutzbachs Mutter, seine Nachbarn und Arbeitskollegen müssen zeugenschaftlich aussagen, um die Aufklärung der Täterpersönlichkeit zu erleichtern. Auch die Bewertung des Tatgeschehens darf sich nicht nur auf die spurenkundliche Seite beschränken, sondern muß auch andere beweisrechtlich und kriminalpsychologisch bedeutsame Aspekte einschließen. Deshalb werden weitere Expertisen, Gesundheitszeugnisse, mögliche Krankengeschichten benötigt. Denn die drei Morde sind so ungewöhnlich, daß zunächst die Annahme besteht, sie könnten durch einen Geistesgestörten verübt worden sein. Dieser Verdacht wird auch durch Stutzbachs absonderliches Verhalten in der Untersuchungshaft gestützt. Er ist völlig unberechenbar, und das Wachpersonal hat große Mühe, ihn zur Räson zu bringen. Auch aus seinem Haß gegen die Polizisten des Strafvollzugs macht er lauthals und kraftvoll keinen Hehl. Stutzbachs Stimmung kippt aber innerhalb von Minuten und scheinbar ohne jeden äußeren Anlaß von wortgewaltigen, polternd-aggressiven, mitunter sogar gefährlich explosiven Erregungszuständen in sture, innere Verschlossenheit, bei der er verbissen vor sich hin starrt und kein Wort über die Lippen bringt.
Ein ähnliches, nicht ganz so extremes Verhalten zeigt er auch in den kriminalpolizeilichen Vernehmungen, so daß seine Aussagebereitschaft immer wieder geduldig geweckt werden muß.
Am Ende der Ermittlungen aber ergibt sich das klare Porträt eines Mannes, der selbst für Mörder ungewöhnliche Bluttaten beging. Die Frage, ob seine verschrobene Gedankenwelt das Produkt krankhafter Geistesvorgänge war, ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu beantworten.
Henry Stutzbach, Jahrgang 1938, wächst im Berlin des Zweiten Weltkrieges auf. Sein Vater, ein streitsüchtiger, jähzorniger Mann, verläßt nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft die Familie, um im Westen Deutschlands ein neues Glück zu suchen. Die Mutter, eine einfache, etwas labile Frau, die sich nicht wieder an einen Mann binden will, verhätschelt den kleinen Henry. Er ist ein außergewöhnlich stilles Kind, das meist für sich allein spielt. In der Schule zeigt er durchweg durchschnittliche Leistungen. Jedoch wird er in den letzen Schuljahren durch erhebliche
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