Blutstein
zu Hause, aber Sie
können gerne eine Nachricht ...«
Per wollte gerade auflegen, als ein Frauenstimme die Ansage
unterbrach:
»Hallo?«
Per drückte das Handy ans Ohr.
»Hallo? Sind Sie Ulrica Ternman?«
»Ja, mit wem spreche ich?«
»Ich heiße Per Mörner. Sie kennen mich nicht, aber ich bin auf der
Suche nach einer Frau namens Lisa Wegner. Ist das richtig, dass Sie früher
miteinander befreundet waren?«
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte Schweigen, als würde der
Name nicht sofort eine Erinnerung wecken.
»Lisa? Doch natürlich, wir sind zusammen zur Schule gegangen«, sagte
sie schließlich, »aber wir haben gar keinen Kontakt mehr. Sie wohnt im
Ausland.«
»Oh, wie schade, und Sie haben auch keine Telefonnummer von ihr?«
»Nein, sie ist als Aupair nach Belgien oder Frankreich gegangen und
hat dann dort geheiratet, glaube ich – aber was wollen Sie denn von ihr?«
»Ich vermute, dass sie früher einmal mit meinem Vater gearbeitet
hat, Jerry Morner.«
Wieder herrschte Schweigen.
»Wie hieß Ihr Vater?
»Morner ... Gerhard ›Jerry‹ Morner.«
Ulrica Ternman senkte die Stimme.
»Meinen Sie den, der diese ... diese Zeitschriften herausgegeben hat?
Das war Ihr Vater?«
»Ja, das stimmt. Er hat zwei Zeitschriften herausgegeben. Babylon und Gomorra . Kennen Sie
ihn auch?«
»Ja, schon ...«
»Tun Sie das wirklich?« Dann begriff Per, beziehungsweise, er meinte
zu verstehen. »Sie haben also auch mit ihm gearbeitet?«
Erst war es still, dann hörte er ein Klicken.
Per wartete fünfzehn Sekunden, dann drückte er auf die
Wiederwahltaste.
Ulrica Ternman hob nach dem fünften Klingelzeichen ab. Per übernahm
die Führung wie ein erfahrener Telefoninterviewer.
»Hallo, Frau Ternman, wir haben gerade miteinander telefoniert
... ich glaube, das Gespräch wurde
irgendwie unterbrochen.«
Er meinte einen Seufzer hören zu können.
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich würde Ihnen nur gerne ein paar Fragen stellen, dann lasse ich
Sie auch gleich wieder in Ruhe. Stimmt es, dass Sie auch für Jerry Morner
gearbeitet haben?«
Erneut ein Seufzer.
»Nur ein einziges Mal«, flüsterte sie. »Ein einziges Wochenende.«
Per drückte das Handy fest ans Ohr.
»Ulrica, ich würde mich sehr gerne mit Ihnen darüber unterhalten.«
»Aber warum denn?«
»Weil mein Vater tot ist.«
»Wirklich?«
»Ja, er starb bei einem Autounfall. Und es gibt einige Sachen, von denen
er mir nie erzählt hat. Womit er sich beschäftigt hat und so.«
»Aha? Sie hatten also nichts damit zu tun?«
»Nein«, antwortete Per. »Aber andere, andere Männer.«
»Ja, ich weiß«, sagte Ulrica Ternman mit müder Stimme. »Aber ich
kann Ihnen gar nicht viel erzählen.«
»Können wir es versuchen?«
»In Ordnung«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Kommen Sie morgen
Abend zu mir, aber vor sieben Uhr.«
»Gut, ich wohne auf Öland, wo liegt Randhult?«
»Fünfundzwanzig Kilometer südlich von Kalmar«, sagte sie. »Das ist
ausgeschildert, ich wohne in dem einzigen Backsteinhaus neben einer Scheune.«
»Vielen Dank.«
Per hatte auf seinem Weg zur Schule am Krankenhaus angehalten, aber
Nilla hatte geschlafen. Nach seinem Besuch im Kronan-Gymnasium fuhr er nun
erneut bei ihr vorbei.
Marika war nicht da, aber Nilla war wach, von der Infusion, die in
ihrem Arm steckte, ans Bett gefesselt.
»Hallo, Papa«, begrüßte sie ihn, bewegte sich aber nicht.
»Wie geht es dir?«
»Na ja ... geht so.«
»Hast du Schmerzen?«
»Nein, nicht besonders.«
»Was ist denn dann los mit dir, mein Schatz? Bist du einsam?«
Nilla zögerte erst, dann nickte sie.
Per hatte noch die Horde von Teenagern vor Augen, die an ihm
vorbeigerast waren.
»Würdest du deine Freunde gerne wiedersehen?«
Nilla schwieg.
»Deine Klassenkameraden vielleicht?«, schlug Per vor. »Wenn du sie
anrufst, kann ich losfahren und sie abholen!«
Nilla gab keine Antwort, lächelte nur schwach und schüttelte den
Kopf.
Seit er sie am Samstag zum letzten Mal gesehen hatte, war sie noch
stiller und kleiner geworden. Geblieben war nur ein Lächeln, das aber meistens
müde war. Per versetzte es jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn er sie so sah,
es nahm ihm fast die Luft. Keine Dreizehnjährige sollte so traurig aussehen.
»Nein«, sagte sie schließlich und drehte sich zur Wand. »Ich will
sie nicht sehen.«
»Nicht?«
Nilla hustete, schluckte und flüsterte die Antwort:
»Sie sollen mich so nicht sehen.«
Eine schier unerträgliche Stille senkte sich
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