Blutstein
drückte den Hörer fest ans Ohr.
»Er wird wieder gesund. Wenn er bei mir ist!«
»Das redest du dir ein!«
Max’ Stimme klang ruhig und beherrscht, Vendela wurde noch wütender,
als sie merkte, wie sehr er seine Überlegenheit genoss.
»Bring ihn wieder zurück, Max. Fahr bitte direkt nach dem Tierarzt
hierher.«
»Natürlich, wir kommen bald. Du kannst ja in der Zwischenzeit ein
bisschen joggen gehen.«
Vendela wusste, worauf er anspielte, und seufzte.
»Ich bin ganz alleine hier, Max«, sagte sie leise. »Alle Nachbarn
sind abgereist.«
»Das heißt, du behältst sie alle im Auge, ja?«
Vendela kommentierte das nicht, es hatte keinen Zweck.
»Komm morgen mit Ally nach Hause«, sagte sie und legte den Hörer
auf.
Sie blieb am Fenster stehen und starrte hinaus in die karge
Landschaft. Sie hörte klagende und schreiende Laute und dachte zuerst, ein Kind
würde weinen, aber dann sah sie die Sturmmöwen, die an der Küste entlang nach
Süden flogen.
Sie war wie betäubt von Wut und Hunger, wollte aber nichts essen.
Sie wollte nur raus und laufen.
Eine Viertelstunde später lief sie los und sah sofort, dass Per
Mörners Wagen wieder vor dem Haus stand.
Aber sie klopfte nicht an, sondern lief hinaus in die Alvar, die
Sonne im Rücken und den Blick in die Ferne gerichtet. Ihre Arme und Beine
bewegten sich mechanisch. Sie wurde zu einer Maschine, fand keinen richtigen
Rhythmus, kam aber schnell voran.
Da bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Vor ihr rannte eine
Gestalt durchs Dickicht.
Per Mörner. Er hatte seine blaue Trainingsjacke an, trug aber an
diesem sonnigen Abend kurze Hosen.
Vendela beschleunigte ihr Tempo und holte ihn langsam ein.
Sie rief ihm nicht zu, aber er drehte sich schließlich um, als sie
sich bis auf fünfzig Meter genähert hatte.
Sie starrten einander an – aber Vendela musste erst verschnaufen,
bevor sie reden konnte, und auch Per schien am Ende seiner Kräfte zu sein.
Wenige Minuten später, als sie einander schweigend umarmten,
beschloss Vendela, Per mit zum Elfenstein zu nehmen. Deshalb nickte sie zu dem
Labyrinth aus Büschen und Steinen, das vor ihnen lag, und sagte:
»Komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen.«
Sie fand den Weg durch das dichte Gestrüpp, ohne nachdenken zu
müssen, und Per folgte ihr. In gleichem Tempo liefen sie nebeneinander.
Vendela wurde erst langsamer, als sie das kleine Wäldchen aus
Wacholdersträuchern sah. Per hielt an und musste erst verschnaufen, er war
vollkommen aus der Puste.
»Hier ist es«, sagte sie und ging voraus.
Sie betraten den dichten Kreis aus Sträuchern, in dessen Mitte der
Elfenstein aufragte. Wie immer beschleunigte sie ihr Tempo, um schneller
hinzukommen, und sie vergaß für einen Moment, dass sie nicht allein war. Aber
Per folgte ihr und stellte sich neben den Felsen.
»Das ist ein großer Stein«, stellte er nüchtern fest.
»Ja, ein großer Stein«, wiederholte Vendela. »Bist du hier noch nie
gewesen?«
Er verneinte.
»Aber du offensichtlich.«
Sie legte die Hände auf die Oberfläche und strich mit den
Fingerspitzen über die Steinschälchen.
»Ja, sehr oft. Das ist ein alter, heiliger Ort. Die Menschen kommen
hier seit Jahrhunderten her, um den Rest der Welt für eine Weile zu vergessen.«
Per sah sich um.
»Das scheint mir ein geeigneter Ort dafür zu sein.«
»Ein geeigneter Ort? Ich weiß nicht. Aber die Zeit vergeht hier
seltsamerweise langsamer. Und man kann in Ruhe sitzen und bitten.«
»Bitten?«
Vendela nickte.
»Um Hilfe und Gesundheit bitten!«
»Du meinst die heilende Kraft Gottes?«, fragte Per.
»Ja, so etwas in der Art.«
Sie ließ sich ins Gras sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen
den Stein. Per zögerte einen Moment, dann setzte er sich neben sie.
So saßen sie nebeneinander mit ausgestreckten Beinen und
betrachteten das Naturschauspiel, wie die untergehende Sonne die Wolken
dunkelrot färbte.
»Weiß dein Mann, wo du bist?«, fragte Per.
Vendela wusste nicht, wie viel sie erzählen konnte.
»Max ist gar nicht da«, begann sie. »Er hat meinen Hund mit zurück
nach Stockholm genommen, um mit ihm zum Tierarzt zu gehen. Und ... wir haben uns
darüber fürchterlich zerstritten. Ich habe ihm widersprochen, und das ist er
von mir nicht gewöhnt. Es hat ihn wütend gemacht.«
Per schwieg und wartete ab.
»Aber er kommt bestimmt bald wieder zurück, wie ein Gummiball. Er
braucht mich.«
»Inwiefern?«, fragte Per.
»Ich helfe ihm bei seinen Büchern.«
»Wie meinst du
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