Blutstein
verlassen. Aber die Elfen waren geblieben.
Der weiße Nebel begann sie zu umhüllen, er dämpfte das Sonnenlicht.
Da trat eine kleine Gestalt zwischen den Büschen hervor.
Es war ein kleiner Junge, er kam über das Gras auf sie zu. Vendela
wusste, wo er herkam.
Der Junge blieb vor ihr stehen und sah sie an. Vendela lächelte und
streckte ihm die Hände entgegen, denn sie erkannte ihn wieder.
»Komm, Jan-Erik.«
Der Junge zögerte einen Moment, dann trat er näher.
Er stand neben dem Elfenstein und legte seine kühlen Hände auf ihre
Schultern. Vendela schloss die Augen und wurde ganz ruhig.
Als sie wieder zu ihm hochsah, hatte sich vor ihr ein helles und
warmes Tor geöffnet. Sie konnte keine Vögel sehen, hörte aber ihren Gesang hoch
am Himmel.
Sie erhob sich und ging Hand in Hand mit Jan-Erik durch das Tor.
Sie drehte sich nicht um. Als der Nebel sich lichtete, war alles um
sie herum in strahlenden Sonnenschein getaucht, und all das Graue und Irdische
war verschwunden.
65
M örner!«,
rief eine Stimme, die vom Steinbruch kam.
Per drehte sich um und sah, dass Max Larsson ihn gerufen hatte. Seine
Haustür stand sperrangelweit offen, und er kam über den Gartenweg auf ihn zu
und hob winkend die Hand.
Per blieb stehen, obwohl er so schnell wie möglich nach Hause
wollte. Er spürte stark die Wirkung des Bieres, das er bei den Kurdins
getrunken hatte, und bemühte sich, nicht zu schwanken.
»Wo ist meine Frau?«, fragte Max Larsson und blieb in einigen Metern
Entfernung stehen.
»Ihre Frau?«
»Ja, Vendela, haben Sie sie gesehen?«
Per schüttelte den Kopf.
»Heute nicht.«
Max Larsson interessierte ihn nicht, er hatte wichtigere Dinge zu
tun. Max musterte ihn, als würde er Pers Antwort auf einer Waagschale prüfen.
»Sie haben doch was miteinander unternommen, nicht wahr?«
»Ja, das ist richtig«, antwortete Per. »Gestern haben wir uns
getroffen.«
Er hatte nicht vor, Max zu erzählen, worüber sie geredet und was sie
gemacht hatten. Das musste Vendela übernehmen.
Max Larsson betrachtete ihn, wirkte aber nicht mehr so selbstsicher.
»Sie muss irgendwo hingegangen sein«, sagte er und sah sich suchend
um. »Ich habe mehrmals von der Stadt aus angerufen, aber sie hat nicht
abgenommen. Und ihr Handy liegt auf dem Küchentisch.«
»Vielleicht ist sie einkaufen gefahren«, schlug Per vor.
»Das kann sie nicht«, sagte Larsson. »Sie hat kein Auto.«
Per wandte sich zum Gehen.
»Vielleicht ist sie einfach nur spazieren gegangen«, sagte er. »Ich
werde die Augen offenhalten.«
»Ja, stimmt«, antwortete Larsson. »Ich fahre mal die Küstenstraße
ab, vielleicht finde ich sie da.« Und mit einem gewissen Zweifeln in der Stimme
fügte er hinzu: »Vielen Dank für die Hilfe.«
Per nickte nur und ging weiter. Auf einmal fühlte er sich vollkommen
nüchtern, die Wirkung des Bieres war verflogen, und sein Verdacht, dass
Christer Kurdin ihm Drogen ins Getränk gemischt hatte, erschien ihm jetzt
geradezu lächerlich. Er war paranoid – das war Jerrys Schuld. Sein Vater hatte
sich sein Leben lang verfolgt gefühlt, und es war ihm offensichtlich gelungen,
seinen Sohn damit anzustecken.
Mit schnellen Schritten lief er zu seiner Casa Mörner und zog die
Hausschlüssel aus der Tasche. Kaum hatte er sein Zuhause betreten, schaltete er
überall die Lampen ein, um die Schatten zu vertreiben.
Es war Viertel nach vier. Noch achtzehn Stunden bis zu Nillas
Operation.
Per holte tief Luft und setzte sich an den Küchentisch, um seine
Tochter im Krankenhaus anzurufen.
»Hallo, hier ist Papa.«
»Hallo.«
Ihre Stimme klang belegt, aber ruhig. Per hörte Musik im
Hintergrund. Vermutlich Nirvana.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Gut.«
»Was machst du gerade?«
»Ich lese. Und warte.«
»Ich weiß. Es wird wunderbar, wenn es erst einmal vorbei ist, oder?«
»Ja.«
Sie unterhielten sich eine Weile, und er merkte, wie Nilla sich
immer mehr entspannte. Das machte auch Per ruhiger. Marika war bei ihr, erfuhr
er, schon den ganzen Tag.
»Ich komme heute Abend zu dir«, versprach Per.
»Wann denn?«
»Bald ... in einer Stunde oder so fahre ich los.«
»Vielleicht schlafe ich dann schon.« Nilla kicherte leise. »Die
wecken mich morgen superfrüh auf ... ich muss mich mit Alkohol waschen. Den
ganzen Körper desinzieren.«
Desinfizieren ,
wollte Per korrigieren, tat es aber nicht.
»Bis später«, verabschiedete er sich.
Er hatte aufgelegt und wollte sich gerade eine Kleinigkeit zu essen
machen, als er
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