Blutstein
hoffte, dass er in die richtige Himmelsrichtung lief, die ihn zum großen
Elfenstein führen würde.
66
P er
nahm an, dass der Elfenstein sich irgendwo in der Mitte der schmalen Insel
befand. Er war mit großen Schritten die Pfade entlanggelaufen, die durch das
Gestrüpp führten, und hatte schließlich in einiger Entfernung ein kleines
Wäldchen ausgemacht. Erst jetzt begann er zu joggen.
Schnell war er warm gelaufen und ein bisschen außer Atem. Weit und
breit kein Steinblock zu sehen, aber als er nach Norden sah, entdeckte er eine
kleine halbkreisförmige Ansammlung von Wacholdersträuchern, die ihm bekannt
vorkam.
Als er näher kam, sah er auch den Steinblock durch die Äste
hindurchschimmern und wusste, dass er den Ort wiedergefunden hatte, an den
Vendela ihn geführt hatte.
Die Sonne hatte sich durch die Wolken geschoben und zeigte sich im
Westen als tief hängende, blassgelbe Scheibe. Die Schatten der Büsche und
Sträucher wurden zu langen schwarzen Bändern, die sich über die Alvar legten.
Er betrat das Wäldchen und blieb stehen.
Der Felsblock thronte in der Mitte, daneben stand eine kleine
Gestalt, die nicht bis an den oberen Rand des Steines reichte.
Es war ein Junge in Jeans und blauer Jacke, der Per entgegensah und
ihn anlächelte.
Per blinzelte ein paarmal, aber der Junge war keine optische
Täuschung. Er stand da und hielt eine kleine Holzkiste in der Hand. Das Kind
war etwa neun oder zehn Jahre alt.
»Hallo«, sagte Per.
Der Junge antwortete nicht, Per ging auf ihn zu.
»Wie heißt du?«
Auch darauf erhielt er keine Antwort.
»Was machst du hier?«
Der Junge öffnete den Mund und drehte den Kopf zur Seite.
»Ich wohne dort drüben.«
Er hob die Hand und zeigte in eine Richtung. Per konnte kein Haus
sehen, aber sollte es dort Höfe geben, waren sie hinter den Bäumen versteckt.
»Bist du alleine hier?«
Der Junge tat einen Schritt von dem Steinblock weg.
»Ich habe sie auf die Seite gelegt, so macht man das doch.«
Erst da sah Per Vendela am Boden liegen.
Sie lag hinter dem Steinblock, das Gesicht in den Händen vergraben.
Sie trug eine Wollmütze und eine dicke Daunenjacke – es sah aus, als würde sie
sich nur ausruhen.
Per stürzte auf sie zu und beugte sich über sie.
»Vendela?«
Als er sie vorsichtig an der Schulter rüttelte, bemerkte er, dass
sie nicht schlief. Sie war bewusstlos und hatte sich offenbar übergeben.
»Vendela?«
Keine Reaktion.
Der Junge stand nur wenige Schritte entfernt und beobachtete
aufmerksam Pers erfolglose Versuche, sie aufzuwecken.
Per stand auf. Er hatte zwar sein Handy dabei, aber ein Krankenwagen
würde diesen Ort niemals finden. Sein Blick fiel erneut auf den Jungen.
»Wir müssen Vendela helfen ... sie ist krank«, erklärte er. »Gibt es
eine Straße hier in der Nähe?«
Der Junge nickte und lief los. Per bückte sich und hob Vendela hoch.
Ihr Körper war leblos, aber er konnte sie gut tragen.
Sie verließen den Stein, die Sonne im Rücken. Der Junge hielt seine
Holzkiste in der Hand, aber nach etwa fünfzig Metern blieb er stehen und schob
sie unter die tiefen Zweige eines Wacholderstrauches.
»Das ist mein Geheimversteck!«, sagte er.
Per nickte und sah aus dem Augenwinkel auch Zeitschriften in dem
Versteck, zum Glück waren es nur Comics.
»Komm, lass uns weitergehen.«
Seine Arme begannen zu schmerzen, und er lief weiter, um nicht aus
dem Takt zu geraten. Der Junge holte ihn wieder ein und führte ihn durch das
Labyrinth aus Sträuchern und Büschen.
Nach einigen Hundert Metern hörte Per ein vertrautes Rauschen, es
waren Autos, die auf einer Straße fuhren, und da wusste er, dass sie die
Landstraße erreicht hatten. Sie war viel näher, als er erwartet hatte.
Als sich die Bäume und Sträucher lichteten, sah er auch die
Scheinwerfer der Autos vorbeisausen. Er stolperte mit Vendela im Arm weiter und
hatte Angst, sie nicht mehr lange tragen zu können.
»Vendela?«
Sie atmete und schlug die Augen auf, schien ihn aber nicht zu erkennen.
Sie murmelte nur etwas Unverständliches und sank zurück in die
Bewusstlosigkeit.
Er hielt sie fester und lief die letzten Meter zur Straße. Jetzt war
kein Auto mehr zu sehen, aber eine Bushaltestelle hatte er entdeckt. Dort
angekommen, bettete er Vendela auf die Bank im Wartehäuschen.
Dann holte er sein Handy aus der Trainingsjacke und rief den Notarzt
an, beschrieb kurz, was geschehen war und wo sie sich befanden. Als er das
Gespräch beendet hatte, bemerkte er, dass Vendela und er
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