Blutstein
eingegangen war. Zu diesem Zeitpunkt hatten
sich aber alle Bewohner des Hauses noch im Tiefschlaf befunden.
Er nahm das Handy an sich, um zu überprüfen, ob er den Anrufer unter
Umständen kannte, aber im Display stand nur UNBEKANNTER TEILNEHMER .
Mit müden Schritten kam Jerry eine Viertelstunde später auf die
sonnige Terrasse geschlurft. Er trug einen weißen Morgenmantel, den er sich von
Per ausgeliehen hatte. Die Zwillinge schliefen noch, aber das war in Ordnung –
vor allem Nilla benötigte viel Ruhe. Außerdem wollte Per mit seinem Vater sprechen,
ohne dass jemand danebensaß.
Sie nickten einander zu.
»Pelle?«, sagte Jerry und zeigte auf das Glas, das an seinem Platz
stand.
»Nein, heute gibt es keinen Tropfen«, sagte Per energisch. »Nur
Orangensaft.«
Als sein Vater sich hinsetzte, erhaschte Per einen kurzen Blick auf
die Bauchbandage. Er half ihm, eine Scheibe Brot mit Butter zu beschmieren, und
Jerry aß mit großem Appetit.
Per beobachtete ihn.
»Du hättest dich gestern ein bisschen zurückhalten sollen, Jerry.«
Jerry blinzelte.
»Du hättest nicht vor meinen Nachbarn von deinen Geschäften erzählen
sollen. Und du hättest die Zeitschrift nicht zeigen sollen.«
Jerry zuckte mit den Schultern.
Per wusste, dass sich sein Vater noch nie für irgendetwas geschämt
hatte. Nicht Jerry, der machte, was er wollte. Er hatte seinen Job geliebt und
sein ganzes Leben lang Spaß gehabt.
Per lehnte sich über den Tisch.
»Jerry, erinnerst du dich an ein Mädchen namens Regina?«
»Regina?«
»Regina hat Mitte der Sechziger für dich gearbeitet ... Sie hatte
braunes Haar.«
Jerry zeigte auf seine eigenen dünnen Haarsträhnen und schüttelte
mit dem Kopf.
»Ja, ich weiß, dass du alle deine Mädchen mit Perücken zu Blondinen
gemacht hast ... Aber kannst du dich an Regina erinnern?«
Jerry drehte den Kopf zur Seite und sah aus, als würde er
nachdenken.
»Was ist aus ihr geworden?«, fragte Per. »Weißt du das?«
Jerry schwieg.
»Wurde ein altes Weib«, sagte er dann und fing an zu husten.
Per ließ ihn fertig husten, bevor er das Handy über den Tisch
reichte, um Jerry den Anruf in Abwesenheit zu zeigen.
»Jerry«, sagte er, »jemand wollte dich erreichen.«
26
V endela
wachte am Gründonnerstag gegen acht Uhr mit trockenem Mund und zugeschwollener
Nase auf. Wahrscheinlich war es nur Einbildung, aber als sie die Jalousie ein
Stück zur Seite schob, hatte sie den Eindruck, dass die Luft ganz gelb von
herumfliegenden Pollen war.
Aloysius schlief am Fußende, und Max lag neben ihr auf der anderen
Hälfte des Doppelbettes, fest eingewickelt in seine Decke. Er hatte ihr den
Rücken zugekehrt und schnarchte mit offenem Mund. Schuld daran war der Wein. Am
vergangenen Abend hatte er ein Glas Rotwein nach dem anderen geleert, obwohl er
wusste, dass er an sein Herz denken und mit Alkohol vorsichtig sein sollte.
Er würde einen Kater haben, darum ließ sie ihn noch eine Weile
weiterschlafen.
Heute war der letzte Tag mit dem Fotografen, er würde noch einmal
auf die Insel kommen, um Aufnahmen zu machen. Das bedeutete für sie, dass sie
die Gerichte und das Brot vor dem Shooting am Vormittag vorbereiten und backen
musste.
Sie schlug die Bettdecke zur Seite, schnäuzte sich so leise wie
möglich und stand auf.
Als Max etwa eine Stunde später in seinem alten Morgenmantel aus dem
Schlafzimmer schlurfte, hatte sie schon eine Allergietablette genommen und
wartete auf ihre Wirkung. Außerdem standen zwei Hefeteige für Landbrote in
Schüsseln und gingen auf, während Vendela geschmolzene Butter und Roggenmehl
verrührte, um einen dritten vorzubereiten. Ally hatte Trockenfutter mit
Hähnchengeschmack bekommen und sich danach satt unter den Küchentisch gelegt.
»Guten Morgen!«, begrüßte sie Max.
»Hmm.«
Er goss sich einen Becher Kaffee ein und begutachtete ihre Arbeit.
»Du hast viel zu früh mit dem Brotteig angefangen«, moserte er. »Die
Brote sollen doch frisch gebacken aussehen, sodass es dampft, wenn ich sie
aufschneide.«
»Ich weiß, sie kühlen so schnell ab«, antwortete Vendela und wischte
sich über die Stirn. »Aber die hier waren auch nur als Dekoration im
Hintergrund gedacht ... Ich mache frische, wenn der Fotograf kommt.«
»Okay. Hast du schon gefrühstückt?«
Sie nickte eifrig.
»Eine Banane, drei Scheiben Brot mit Käse und einen Joghurt.«
Das war gelogen, sie hatte nur eine Tasse Zitronentee getrunken.
»Sehr gut, weiter so«, lobte Max.
Er ging ins Badezimmer
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