Blutstein
und schöne Frau mit dunklen Augen. Vendela weiß, dass sie die
Elfenkönigin ist, die sich vor langer Zeit in einen Jäger verliebt hat.
Die Königin sagt kein Wort, sie blickt Vendela nur unverwandt an.
Sie sieht traurig aus, als würde sie ihren Geliebten vermissen. Vendela hat die
Augen geschlossen, sie hört in weiter Ferne Glocken läuten, das Gras unter
ihren Füßen verschwindet, der Boden fühlt sich hart und glatt an. Und in kleinen
Bächen plätschert frisches Wasser.
Das Reich der
Elfen .
Aber als sie die Augen öffnet, ist alles verschwunden.
Zu Hause auf dem Hof wirft sie einen schnellen Blick auf das
mittlere Fenster im ersten Stock, obwohl sie das gar nicht will.
Das Zimmer des Invaliden. Wie sonst auch steht niemand am Fenster.
Vendela geht ins Haus und ohne Umwege direkt in Henrys Schlafzimmer,
das übersät ist von gebrauchten Kleidungsstücken, Rechnungen der Großhändler
und Briefen vom Amt. Sie hat kein Geld, um es in die Opferschälchen zu legen,
aber in dem dunkelbraunen Schrank neben dem Bett ihres Vaters liegt das
Schmuckkästchen ihrer Mutter.
Es dauert noch Stunden, bis ihr Vater aus dem Steinbruch
zurückkehrt, und der Invalide wird sie kaum stören. Sie hockt sich vor den
Schrank und öffnet ihn.
Das Schmuckkästchen steht auf dem untersten Regal und ist weiß. Im
Inneren ist es mit grünem Futter verkleidet, auf dem Broschen, Halsketten,
Ohrringe und Krawattennadeln liegen. Viele Schmuckstücke sind es, an die
zwanzig oder dreißig. Ganz alte Familienerbstücke sind darunter, aber auch
Juwelen, die aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen. All das hatten
ihre Mutter und deren Familie im Lauf der Zeit gesammelt und ihnen
hinterlassen.
Mit Daumen und Zeigefinger hebt Vendela eine silberne Brosche mit
einem geschliffenen roten Stein hoch. Sogar hier im dunklen Zimmer kann man das
Glühen des Steines sehen – wie ein Rubin.
Ein Rubin in
Paris , denkt Vendela.
Sie lauscht, aber im Haus ist alles still. Dann steckt sie die
Brosche schnell in die Tasche ihres Kleides.
Auf dem Nachhauseweg von der Schule am nächsten Tag holt sie die
Brosche hervor, als sie am Elfenstein vorbeikommt. Sie betrachtet ihn und die
leeren Opferkuhlen eine Weile.
Es ist sonderbar, aber ihr fällt kein Wunsch ein. Nicht heute. Sie
ist fast zehn Jahre alt und müsste eigentlich einen Haufen Wünsche haben, aber
ihr Kopf ist ganz leer.
Eine Reise nach Paris?
Nein, sie muss bescheidener sein. Schließlich wünscht sie sich,
einmal wieder aufs Festland zu fahren – nach Kalmar, wo sie seit zwei Jahren
nicht mehr gewesen ist.
Sie legt die Brosche vorsichtig in eine der Kuhlen und rennt schnell
nach Hause.
Dann kommt der Samstag. Sie hat schulfrei, weil im Klassenzimmer
neue Öfen eingebaut werden.
»Beeil dich heute ein bisschen mit den Kühen!«, sagt ihr Vater am
Frühstückstisch. »Und danach ziehst du dir was Schönes an.«
»Warum das denn?«
»Wir müssen den Zug erwischen, wir fahren heute nach Kalmar und
bleiben über Nacht bei deiner Tante.«
Ein Zufall? Nein, das hat sie den Elfen zu verdanken.
Aber Vendela hätte danach aufhören sollen, sich Sachen zu wünschen.
27
E igentlich
wollte Per die Polizei anrufen und sich nach neuen Ermittlungsergebnissen
erkundigen, aber wenn die Familie Essen auf den Tisch bekommen sollte, war er
gezwungen, Geld zu verdienen. Deshalb zog er sich nach dem Frühstück, als er
seinen Vater auf der Terrasse platziert hatte, mit einer Telefonliste und
seinem Frageformular bewaffnet in die Küche zurück. Er legte seinen Finger auf
die Liste und wählte die erste Nummer.
Drei Klingelzeichen verstrichen, dann meldete sich eine männliche
Stimme mit einem Nachnamen. Das stimmte mit den Angaben auf der Liste überein,
Per setzte sich aufrecht hin und holte tief Luft, damit seine Stimme frisch und
voller Energie klang:
»Guten Tag, mein Name ist Per Mörner, und ich rufe im Auftrag der
Firma Intereko an, die sich mit Marktforschung beschäftigt ... Hätten Sie
eventuell Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten? Es dauert nur drei
Minuten.«
In Wirklichkeit dauerte es natürlich fast zehn Minuten.
»Worum geht es denn?«, fragte der Mann.
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen zu einer bestimmten Seife
stellen. Benutzen Sie Seife in Ihrem Haushalt?«
Der Mann lachte herzlich.
»Ja, durchaus ...«
»Sehr gut«, sagte Per. »Dann nenne ich Ihnen jetzt den Namen des
Produktes, und Sie erzählen mir, wann Sie es zuletzt gesehen haben ...«
Per
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