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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Trotz setzte sie das Gespräch fort.
    »Sie joggen also auch?«
    Er nickte.
    »Ab und zu. Ich würde gerne häufiger.«
    »Wir könnten doch mal abends zusammen laufen gehen?«
    Per musterte sie.
    »Okay«, sagte er schließlich zögernd. »Wenn Sie dazu Lust haben.«
    »Sehr sogar.«
    Vendela verabschiedete sich und ging zurück ins Haus. Gut gemacht,
sie hatte sich richtig sozial und normal verhalten. Und auch noch eine
Laufbegleitung gefunden.
    Aber sie würde Per Mörner nicht den Elfenstein zeigen. Das war ihr
geheimer Ort.

VENDELA UND DIE ELFEN
    V endela
trifft erst wieder auf den Elfenstein, als sie die kleine Dorfschule verlässt
und in die größere Volksschule geht. Die befindet sich in Marnäs auf der
anderen Seite der Insel, fast vier Kilometer entfernt.
    Es ist ein langer Weg für ein neunjähriges Mädchen, sechs Tage die
Woche, und Henry begleitet sie kein einziges Mal.
    Er bringt sie nur zur Wiese, wo die Kühe unter dem hohen blauen
Himmel grasen. Dann zeigt er nach Osten, zum baumlosen Horizont. »Lauf in Richtung
Elfenstein; wenn du ihn erreicht hast, kannst du auch schon den Kirchturm von
Marnäs sehen«, erklärt er ihr. »Die Schule liegt auf der anderen Seite der
Kirche. Das ist der kürzeste Weg ... wenn im Winter mehr Schnee liegt, musst du
die Landstraße nehmen.«
    Dann drückt er ihr ein Päckchen mit Broten für die Frühstückspause
in die Hand und geht summend in die andere Richtung zum Steinbruch.
    Vendela macht sich auf den Weg. Sie läuft Richtung Osten, immer
geradeaus über das verdorrte Gras der Alvar. Der Sommer ist längst vorbei, aber
seine Trockenheit hat er zurückgelassen, vertrocknete Blumen und Blätter
knistern und rascheln unter ihren Füßen. Sie hat eine Todesangst vor Kreuzottern,
aber auf den unzähligen Wanderungen zur Schule und zurück begegnen ihr nur
freundliche Tiere: Hasen, Füchse und Rehe.
    Den Elfenstein passiert sie gleich am ersten Tag. Er liegt an der
gleichen Stelle wie damals im Gras, einsam und unbeweglich. Von dort läuft
Vendela weiter, den Kirchturm von Marnäs vor Augen.
    Die Schule beginnt um halb neun. Die Klasse wird von Schuldirektor
Eriksson in Empfang genommen, der vor der schwarzen Tafel steht und sehr streng
aussieht. Daneben steht die Klassenlehrerin Frau Jansson und sieht noch
strenger aus. Sie macht eine Anwesenheitskontrolle und ruft alle Namen mit
lauter und energischer Stimme auf. Danach setzt sie sich für die Morgenandacht
ans Harmonium, alle singen Psalmen, und dann erst beginnt der Unterricht.
    Um halb zwei ist der erste Schultag zu Ende, Vendela fand ihn gar
nicht so schlecht. Zuerst fühlte sie sich ziemlich einsam und hatte ein
bisschen Angst vor Frau Jansson. Aber dann hat sie sich vorgestellt, dass die
Klasse eine Kuhherde ist und alle anderen auch Angst haben. Damit ging es ihr
besser. Außerdem hatten sie nach der Frühstückspause textiles Werken, und nach
fast jeder Stunde haben sie Lieder zum Mittanzen gesungen. Wenn sie jetzt noch
Freunde fände, würde sie bestimmt eine schöne Schulzeit haben.
    Auf dem Nachhauseweg kommt sie ein zweites Mal an dem großen
Elfenstein vorbei, und diesmal hält sie an und geht zu dem Felsblock.
    Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellt, kann sie sehen, dass der
Stein auf der Oberfläche kleine Kuhlen hat, mindestens ein Dutzend. Sie sehen
aus, als hätte sie jemand in den Stein geschlagen und dann poliert, wie kleine
runde Schälchen.
    Vorsichtig sieht sie sich um, aber es ist kein Mensch in der Nähe.
Dann erinnert sie sich an die Geschichten, die Henry ihr erzählt hat, von den
Geschenken an die Elfen. Am liebsten würde sie noch eine Weile dort bleiben,
aber dann reißt sie sich los und läuft nach Hause, zu ihren Kühen.
    Seit diesem ersten Schultag vergeht kein einziger Tag ohne einen
kurzen Halt am Elfenstein auf dem Nachhauseweg, um nachzusehen, ob vielleicht
jemand etwas geopfert hat. Ihr begegnet nie ein Mensch, aber in den Schälchen
liegen tatsächlich manchmal kleine Geschenke an die Elfen, Geld, Nadeln und
auch Schmuckstücke.
    Am Stein herrscht eine merkwürdige Atmosphäre, alles ist so still.
Und wenn Vendela die Augen schließt und die Augenlider so fest
aufeinanderpresst, dass alles dunkelblau wird, dann entstehen in ihrem Kopf
Bilder. Sie sieht eine Gruppe schmaler und blasser Gestalten, die auf der
anderen Seite des Steins stehen und sie anschauen. Je fester sie die Augen
zudrückt, umso deutlicher sind sie zu erkennen, am deutlichsten sieht sie eine
hochgewachsene

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