Blutstein
stand auf ihrem Grundstück und war damit beschäftigt,
den Wagen mit unzähligen Taschen, einem Wickeltisch und Tüten mit Spielsachen
zu beladen. Familie Kurdin machte sich daran, ihr Landhaus wieder zu verlassen.
Wie alt mochte sie sein? Dreißig vielleicht. Eine große und
schlanke, frischgebackene Mutter. Sie wirkte sehr energisch, wie sie die
Reisetaschen verstaute und zwischendurch ihrem Mann etwas zurief, der noch im
Haus war. Es war unmöglich, dass diese Frau in einem von Jerrys Filmen
mitgemacht hatte. Oder doch? Plötzlich tauchten Bilder in Pers Kopf auf,
Bilder, um die er nicht gebeten hatte: Marie Kurdin lag wie alle anderen vor
ihr auf einem Bett, über ihr Markus Lukas und an der Seite Jerry mit seiner
Zigarre ...
Nein .
Per schüttelte den Kopf und sah seinen Vater vorwurfsvoll an.
»Das bildest du dir ein.«
Bevor sie losfuhren, ging Per zu den Larssons, um Vendela für den
Hinweis zu Nillas Glücksstein zu danken – und sie zu fragen, woher sie wusste,
wo er lag.
Er klopfte an, aber niemand öffnete. Daher kritzelte er eine Zeile
auf einen Zettel:
Vielen Dank für
den Stein! Per
Dann faltete er ihn zusammen und schob ihn in den Türspalt.
Diesmal waren sie zu dritt im Auto, als sie die Insel über die
Ölandbrücke verließen. Jesper war mit dabei, er fuhr zurück zu seiner Mutter.
In ein paar Tagen waren die Osterferien zu Ende, und die Schule fing wieder an.
Marika wohnte in einem Haus im Norden von Kalmar, und Per ließ
seinen Sohn an der Straße raus, denn er wollte nicht riskieren, dass sich Jerry
und seine Exfrau begegneten.
»Findest du den Weg nach Hause?«, fragte er Jesper, als dieser aus
dem Wagen stieg.
Jesper nickte, lachte aber nicht über den Witz, sondern beugte sich
zu ihm und umarmte ihn.
»Ich wünsche dir alles Gute für die Schule«, sagte Per, »und grüß
Mama von mir.«
Als Jesper im Haus verschwunden war, wandte er sich an Jerry.
»Hast du diese Umarmung gesehen, Jerry? Es gibt Väter, die bekommen
so viel Zärtlichkeit!«
Jerry erwiderte nichts, also sagte Per:
»Na gut, dann ab nach Hause.«
»Nach Hause«, wiederholte Jerry.
Ein paar Stunden später hatten sie das Zentrum von Kristianstad
erreicht, und Jerry saß schlafend auf dem Beifahrersitz, den Kopf nach hinten
gelehnt, mit geöffnetem Mund und hängenden Wangen. Sein Schnarchen übertönte
sogar das Motorengeräusch, deshalb schaltete Per das Radio ein. Ein altes
schwedisches Volkslied erklang:
In einem Saal im
Krankenhaus,
wo die weißen
Betten stehn,
lag ein kleines
Mädchen hustend,
blass und mager
mit lockigem Haar ...
Schnell schaltete er wieder aus. Zuerst kannte Per sich nicht gleich
aus, aber dann fand er die richtige Straße und parkte am Bürgersteig, nur zehn
Meter vom Hauseingang entfernt.
Als er den Motor abstellte, zuckte Jerry zusammen und wachte auf. Er
blinzelte und sah sich verwirrt um.
»Pelle?«
»Du bist jetzt zu Hause«, sagte Per.
»Kristianstad?«
Jerry hustete und sah die Straße hinunter. Dann schüttelte er
langsam den Kopf.
»Nein.«
Offenbar bereute er es schon wieder. Per seufzte.
»Doch, doch, es ist alles in Ordnung und sicher.«
Jerry schüttelte weiter den Kopf. Dann hob er seinen zitternden
Zeigefinger und deutete in die Luft.
»Was ist denn?«
Per hatte den Blick nicht von der Haustür abgewendet. Er öffnete die
Autotür.
»Warte hier«, sagte er und stieg aus. »Ich gehe mal nachsehen ... Dann
hole ich dich. Hast du die Schlüssel?«
Jerry wühlte in der Manteltasche und reichte ihm den Schlüsselbund.
»Prince«, sagte er.
Jerry wollte Zigaretten, aber Per ignorierte seinen Wunsch und warf
die Tür zu.
Langsam näherte er sich der Eingangstür. Jerrys Wohnung lag in einem
zentralen, aber nicht besonders edlen Stadtviertel von Kristianstad in einem
vierstöckigen Backsteinhaus. Es war Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut worden
und bedurfte nun dringend einer Renovierung. Unter dem Dach waren kleine
Steinköpfe angebracht, die herunterstarrten. Sie sahen aus wie verkrüppelte
Eulen.
Per schloss die Tür auf und trat ins dunkle Treppenhaus.
Er dachte daran, wie er vor einer Woche in Jerrys Filmstudio
gelaufen war, an den Qualm und die Flammen, die aus dem Erdgeschoss
emporloderten. An Bremers Körper in dem brennenden Bett und an die Hilfeschreie
der jungen Frau.
Aber im Treppenhaus roch es nicht nach Rauch, es hallte nur
unheimlich. Die steinerne Treppe wand sich um einen zylinderförmigen Fahrstuhl,
doch der sah uralt aus und war
Weitere Kostenlose Bücher