Blutstern
beobachtete die beiden ganz still.
Als die Stiftskirche zwölf Mal schlug, gingen sie nach vorne in die Kajüte. Ilona wusste, was das bedeutete. Die Vorhänge an den Fenstern schwankten leicht. Das Boot bewegte sich im Wasser, als ob jemand darin herumhüpfte. Schwein, dachte sie, blödes satanisches Schwein. Mehr wollte sie nicht sehen. Es trieb ihr die Tränen in die Augen als sie die Treppen zum Schlossplatz nach oben stieg. Sie schickte ein Gebet zum Himmel. »Oh Herr«, betete sie, »bitte lass meine Periode kommen. Lass mich bloà nicht schwanger sein, nicht von ihm, bitte nicht von ihm.«
Ihre Regel war drei Tage überfällig. Vielleicht wegen der ganzen Aufregung, dachte sie. Sie hatte Angst, vor allem jetzt, wo sie wusste, dass er eine Neue hatte. Sie fürchtete sich davor, schwanger zu sein. Die Gewächse an der Sandsteinmauer kamen ihr vor wie bizarre Monster, die sich auf sie stürzen wollten, kleine vielarmige Kobolde, die sie auf ihrem Weg nach oben verfolgten. Vorbei, dachte sie, als die Stiftskirche zur vollen Stunde schlug. Ende der Geisterstunde, Ende seiner Liebe. Jetzt würde er sich neben ihr zusammenrollen, würde schlafen wie ein Engel, obwohl er in Wirklichkeit ein Teufel war. Ilona lag lange wach in dieser Nacht. Ständig schlichen sich dieselben Gedanken in ihren Kopf: Keine Periode, keine Liebe, keine Zukunft, keine Periode, keine Liebe, kein Glück ⦠Irgendwann schlief sie erschöpft ein und wachte am Morgen wieder auf. Keine Periode, war ihr erster Gedanke als sie zur Toilette ging und sich noch nichts zeigen wollte.
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Vier Tage später führte Ilona einen Schwangerschaftstest durch. Morgens saà sie auf dem Rand ihrer Badewanne und wartete auf das Ergebnis. Es waren die längsten Minuten ihres Lebens. Bitte nicht, hämmerte es hinter ihrer Stirn. Aber der Teststreifen war unerbittlich, zeigte kein Erbarmen, verfärbte sich ganz langsam, wie es auf der Vorlage zu sehen war. Ein zweiter Test brachte dasselbe Ergebnis: Schwanger, schwanger von ihm, der sie herumgekriegt hatte in Satans Festnacht, die es nur einmal gab pro Jahr. Geschwängert hatte er sie und dann verlassen, um eine blonde Hexe zu lieben. Ilona war verzweifelt, wusste nicht, was sie tun sollte, lieà sich wieder ins Bett fallen und blieb einfach dort liegen.
Sie musste es ihm sagen, dachte sie. Zugleich befürchtete sie, dass es zwecklos war. Er würde ihr Vorwürfe machen, weil sie die Pille nicht genommen hatte. Heulend lag sie im Bett, ärgerte sich über ihre eigene Dummheit, hätte sich das Kind am liebsten aus dem Leib geprügelt, das ihr Leben bestimmen würde.
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Noch am selben Vormittag rief sie ihn an. Sie hatte sich in der Firma nach ihm durchgefragt und ihn endlich an der Strippe.
»Hallo, Ilona, mein Täubchen«, meldete er sich.
Ihr drehte es fast den Magen um.
»Ich muss dich bitte dringend sprechen«, sagte sie, »bitte, es ist wirklich wichtig.«
»Das ist im Moment ganz schlecht, mein Täubchen. Du weiÃt, viel Arbeit, ständig Sitzungen. Du kannst froh sein, dass du mich gerade erwischt hast.«
Doch sie wusste, wie seine Arbeit aussah, sie hatte ein Beispiel auf der Jacht gesehen.
»Bitte, nur eine halbe Stunde, wenn du willst in der Mittagspause«, flehte sie ihn an.
Er zögerte. Sie hörte, dass er in seinem Kalender blätterte.
»Also gut, wenn es unbedingt sein muss. Komm in die Firma, am besten kurz vor zwölf, ich sage dem Pförtner Bescheid.«
Ilona wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie sah schlecht aus, sie hatte die Nacht kaum geschlafen, war verheult, fix und fertig von der Aufregung über das Testergebnis.
Ich muss baden, mich frisch machen, in einer Stunde werde ich bei ihm sein, dachte sie. Sie nahm sich zusammen, richtete sich her, zog ihr hübsches blaues Sommerkleid an, föhnte ihre schwarzen Haare, schminkte sich und saà bald in einem Taxi zu seiner Firma.
»Sie wollen sicher zum Juniorchef«, begrüÃte sie der Pförtner am Haupteingang. »Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«
Wenigstens hat er Bescheid gegeben, dachte Ilona. Sie fuhren in den zweiten Stock, dort lag ganz am Ende des Ganges sein Büro.
»Hallo, Ilona«, begrüÃte er sie. »Tut mir leid, dass ich so viel zu tun habe, mein Liebling.«
»Wir haben uns über drei Wochen nicht gesehen.«
»Die Zeit rast so«, sagte er,
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