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Blutstern

Blutstern

Titel: Blutstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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Magen knurrte und schnell wurde es heißer, als die Sonne an Höhe gewann. Erbärmlich sah er aus, ungewaschen, unrasiert und verdreckt vom Sturz aus dem Landrover. Er gönnte sich ab und zu einige Schlucke Wasser aus dem Kanister. Besser trinken als mitschleppen, dachte er.
    Um die Mittagszeit rastete Thomas im Schatten einer Baumgruppe, um der größten Hitze zu entgehen. Er hatte eine kleine Anhöhe erreicht und konnte weit über die Ebene schauen. Nirgendwo war eine Lodge oder ein anderes menschliches Lebenszeichen zu sehen. Er breitete die Abdeckplane aus, legte den Klappspaten neben sich und bald fielen ihm die Augen zu. Das Hitzeflimmern der Ebene mischte sich mit seinen Träumen und trug ihn in einen sanften Schlaf hinüber. Er träumte von Sabine, sah, wie sie auf einem Löwen ritt. Sie winkte ihm zu und verschwand in der Herde der Gnus, zwischen denen der Löwe auf Beutezug ging.
    Irgendwann begann die Erde zu vibrieren. Thomas schreckte hoch und griff nach dem Klappspaten. Im selben Augenblick hörte er ein Knacken und Bersten, wandte den Kopf nach hinten und sah einen mächtigen Elefanten, der einen der Bäume umriss. Seine Stoßzähne und die riesigen Ohren hoben sich gegen das tiefe Blau des Himmels ab. Der kräftige Bulle hatte seinen Rüssel um die Äste der Krone gewunden und zerrte mit aller Kraft daran. Das Holz splitterte und mit berstendem Krachen senkte sich die Krone zu Boden, baumelte einen Moment lang an einigen hellen Holzfasern, bis sie auf die Erde fiel. Umgeben war der Bulle von seiner ganzen Familie. Die Elefanten zupften mit ihren geschickten Rüsseln das Blattwerk ab. Zwei Elefanten-Babys bewegten sich tollpatschig zwischen den Ästen und wurden ab und zu von den größeren Dickhäutern zur Seite gestoßen. Thomas hielt den Atem an. Jetzt bloß nicht ungeschickt bewegen, dachte er. Solange sie mit ihrer Mahlzeit beschäftigt waren, würden sie ihn in Ruhe lassen.
    In der Ferne schwebten drei Giraffen mit grazilen Bewegungen über die Ebene und Thomas musste an den Zoo denken, an die engen Käfige, in denen sie sich kaum bewegen konnten und von den Besuchern angestarrt wurden. Wie weit hier alles war und wie frei. Auf keiner Safari der Welt hätte er mehr erleben können als jetzt.
    Â 
    Am Abend kletterte Thomas Drucker wieder auf eine Schirmakazie und verbrachte dort die Nacht. Am dritten Abend war er bereits zu schwach und schaffte es nicht mehr. Das Wasser war aufgebraucht, zu Essen hatte er nichts und konnte nur hoffen, endlich eine Lodge zu finden oder auf Menschen zu stoßen. Am Nachmittag des siebten Tages machte er eine schreckliche Entdeckung. Er schleppte sich eine Anhöhe nach oben, in der Hoffnung, von dort endlich eine Lodge zu sehen. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen, zwang sich vorwärts zu gehen, schleckte mit der Zunge über seine gesprungenen Lippen, die nach Feuchtigkeit lechzten. Hätte ich in den ersten Tagen nicht so viel getrunken, litt ich nun keinen Durst, dachte er. Er kämpfte sich bis zu einer Baumgruppe nach oben und als er ankam, blieb ihm fast das Herz stehen. Mein Gott, hier war ich schon, stellte er fest. Er sah den umgerissenen Baum, von dem die Elefanten das Blattwerk abgezupft hatten. Ich bin tagelang im Kreis gelaufen, wurde ihm klar. Er ließ sich auf den Boden fallen und blieb einfach auf seiner Plane liegen. Da sah er sie. Die Geier schwebten ein, ließen sich auf den Bäumen der Umgebung nieder und schauten gierig in seine Richtung. Die nackten Hälse aus ihrem struppigen Gefieder reckend, watschelten zwei der Geier auf ihn zu.
    Â»Verschwindet, Teufelspack«, rief Thomas und schleuderte ihnen seinen Spaten entgegen.
    Ich muss hier weg, dachte er, sie dürfen mich nicht kriegen. Er entschloss sich, die Richtung zu wechseln, schleppte sich die Anhöhe hinab in die Ebene, aus welcher der Landrover gekommen war. Er spürte kaum noch seine Beine, die Ebene flimmerte in der Hitze vor seinen Augen, jeder Schritt kostete ihn unendliche Mühe unter seiner Plane, die er sich über den Kopf gehängt hatte, um sich vor der Sonne zu schützen. Er spürte bei jedem Atemzug sein Massai-Halsband. Für einen Moment lang sah er die türkisblaue Küste vor sich, das Riff, an dem er mit Sabine geschnorchelt hatte, und es wurde ihm klar: Er musste weiterkämpfen. Er liebte Sabine und musste überleben. Dieses Halsband gab ihm Kraft.

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