Blutstern
herum. Klar, sie suchen mich, dachte Thomas. Er ging mit dem Kopf unter Wasser und schob in kurzen Abständen vorsichtig die Nasenspitze über die Oberfläche, um Luft zu schnappen. Die Minuten kamen ihm wie Stunden vor. Als er den Kopf leicht aus dem Wasser hob, sah er, dass auch die jungen Morani ausschwärmten, um ihn zu suchen.
Jetzt bin ich verloren, dachte er. Er drückte den Kopf wieder unter Wasser und wartete. Er hörte, wie die Morani am Ufer des Flusses nach ihm fahndeten, mit ihren Speeren ins Wasser stieÃen, laut seinen Namen riefen, wieder und wieder ⦠Als er es nicht mehr unter Wasser aushielt, schob er langsam sein Gesicht an die Oberfläche. Ãber ihm am Ufer stand der junge Moran, der ihm im Kampf mit dem Löwen das Leben gerettet hatte. Nelion hatte ihm davon erzählt. Er lächelte. Während die anderen wild mit ihren Speeren im Fluss stocherten, stand er da und lächelte. Thomas meinte zu bemerken, dass der junge Krieger seinen Halsschmuck musterte, den er von seinem Massai-Freund in Mombasa geschenkt bekommen hatte. Er wollte sich schon erheben und aufgeben, da drückte ihn der Moran mit seinem Speer sanft unter Wasser. Er riss sich zusammen und blieb so lange wie möglich unten. Als er das nächste Mal wieder das Gesicht aus dem Fluss hob, bemerkte er, dass die Massai abgezogen waren. Nur ein Speer lag am Ufer, genau an der Stelle, an der sein Lebensretter gestanden hatte. Wahnsinn, dachte Thomas. Er hatte ihm zum zweiten Mal das Leben gerettet und ihm sogar den Speer geschenkt, mit dem er den Löwen getötet hatte. Konnte es ein gröÃeres Zeichen der Liebe und der Zuneigung geben? Dieser Speer würde es mit den Souvenirs von Johann Flieger mehr als aufnehmen. Dieser Speer war das Kostbarste, was Thomas Drucker in Kenia erhalten hatte, und er würde ihn nie mehr aus der Hand geben.
Eine Zeit lang blieb er noch im Wasser. Erst als er hörte, dass der Landrover das Massai-Dorf verlieÃ, stand er auf und folgte der Spur der Lkw-Reifen zur Serena Lodge. Fast die gesamte Strecke führten die Reifenspuren am Fluss entlang. Thomas ging vorsichtig, suchte Deckung hinter Bäumen und Büschen und lauschte, ob der Jeep wieder zu hören war. Am späten Nachmittag tauchte die Lodge vor ihm auf. Er sah sie auf einer Anhöhe liegen, eingebettet in das Grün der Hügelkette, im Stil eines Massai-Dorfes aus graugrünen Hütten bestehend. Als er die letzte Anhöhe nahm, versuchte er sich sein Aussehen vorzustellen. Sein Safarianzug war schmutzig und zerknittert, nach seiner Flucht am Körper getrocknet. Rasiert hatte er sich seit Wochen nicht mehr. Ein struppiger Bart verdüsterte sein Gesicht. Die Haare waren lang geworden und bedeckten komplett die Ohren. Mit seinem Hals- und Armschmuck und dem Speer wirkte er fast wie ein weiÃer Massai. Hoffentlich werfen sie mich nicht sofort aus der Lodge, dachte er. Er zog seine Kreditkarte aus dem Brustbeutel und sah sie genau an. Beschädigt schien sie nicht zu sein, also hoffte er, dass sie funktionierte.
Er hatte Glück. Nachdem er seine Kreditkarte vorgelegt hatte, gab man ihm einen Bungalow mit Blick über die weite Landschaft. Es kam Thomas wie ein Traum vor, dort Zebras und Antilopen grasen zu sehen, während er endlich in Sicherheit war. Wie neu geboren fühlte er sich, als er unter der Dusche stand. Eine braunrote Brühe lief an seinem Körper nach unten. Er duschte drei Mal hintereinander, bis er endlich das Gefühl hatte, wieder sauber zu sein. Am liebsten hätte er sofort einen Rundgang durch die Lodge unternommen, aber das ging nicht. Er hatte seine Kleider unter der Dusche gewaschen und zum Trocknen in seinem Bungalow aufgehängt.
Thomas fühlte sich plötzlich furchtbar müde. Er legte sich im Bademantel auf das Bett und war wenig später eingeschlafen. Erst spät in der Nacht wachte er wieder auf. Er öffnete das Fenster und schaute über die weite Ebene. In diesem Bungalow fühlte er sich irgendwie eingesperrt. Es fehlten ihm die Sterne, die Geräusche der Nacht, der leise Wind in den Akazien und es fehlten ihm die Massai, die sein Leben gerettet hatten. Sein Blick fiel auf den glänzenden Speer, der neben dem Bett an der Wand lehnte. Von ihm würde er sich nie mehr trennen.
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Aschaffenburg war festlich gestimmt. Den Bussen hatte man bunte Wimpel aufgesteckt, an allen öffentlichen Gebäuden wehten Flaggen im
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