Blutstrafe - Thriller
Kabine.
Auch der Mittwoch schien ein wundervoller Tag zu werden.
28
Der ratternde, auf einer erhöhten Schiene fahrende Zug der Linie 1 machte mich wacher als der zweite Becher Kaffee, während ich meinen Wagen vor der Mordkommission von Nord-Manhattan an der Ecke 133rd Street und Broadway abholte. Die Automechaniker hatten ihn wieder zum Laufen gebracht, aber unerklärlicherweise die Kopfstütze des Beifahrersitzes nicht ausgetauscht, die einige Monate zuvor während einer Schießerei zerfetzt worden war.
Ich war schon dankbar, dass der Wagen ansprang.
Als ich losfuhr, klingelte mein Mobiltelefon. Dass die Nummer des Commissioners angezeigt wurde, besserte meine Laune nur leicht. Ich hatte bereits per E-Mail die Bitte erhalten, um halb zehn an einer Besprechung in der Zentrale teilzunehmen. Scheinbar erwartete der Commissioner vorab einen persönlichen Bericht zum Amokläufer. Langsam kam ich mir wieder nützlich vor.
Ich erwartete, dass die Sekretärin sagte, der Commissioner wolle mich sprechen, doch er meldete sich höchstpersönlich. Nett.
» Bennett, sind Sie das?«
» Ja, Sir«, antwortete ich. » Was kann ich für Sie tun?«
» Für mich tun?«, rief er. » Mal gleich zu Anfang, wie wär’s, wenn Sie Ihre große Klappe halten – besonders wenn die New York Times in der Nähe ist? Selbst ich spreche ohne Genehmigung des Bürgermeisters nicht mit der Presse. Noch so ein Patzer, und Sie können am Arsch von Staten Island als Streifenpolizist Ihre Runden drehen. Haben Sie mich verstanden?«
Meine Fresse, Commissioner, du brauchst die Situation nicht zu beschönigen, dachte ich. Sag freiheraus, wie du dich fühlst.
Ich wollte mich verteidigen, doch so angestochen, wie Daly klang, hätte ich die Lage nur verschlimmert. » Das wird nicht wieder vorkommen, Sir«, murmelte ich, während ich mich durch den morgendlichen Verkehr in die Innenstadt quälte.
Zehn Minuten später, als ich an der 82nd Street und Fifth Avenue vorbeikam, klingelte mein Telefon erneut.
» Mr. Bennett?« Diesmal war es eine Frauenstimme, die ich allerdings nicht erkannte. Wahrscheinlich versuchte wieder jemand von der Presse, mir das Neueste zum Fall aus der Nase zu ziehen. Warum auch nicht? So, wie mich Cathy Calvin in der Morgenzeitung dargestellt hatte, schien ich als der beste Freund der Medien und Pressesprecher der Polizei zu fungieren.
» Was wollen Sie?«, bellte ich.
Ein kurzes, eisiges Schweigen entstand in der Leitung. » Hier ist Schwester Sheilah, die Schulleiterin der Holy Name School.«
Auweia!
» Oh, Schwester Sheilah, das tut mir jetzt aber wirklich leid«, entschuldigte ich mich. » Ich dachte, Sie wären …«
» Schon gut, Mr. Bennett.« Ihre ruhige Stimme vermittelte noch mehr Abneigung mir gegenüber als die des Commissioners.
» Gestern haben Sie zwei Kinder in die Schule geschickt, die sich als krank herausgestellt haben«, fuhr sie fort. » Dürfte ich Ihr Gedächtnis zur Seite elf des Eltern-/Schülerhandbuchs auffrischen, in dem es heißt – ich zitiere: › Kinder, die krank sind, müssen zu Hause bleiben‹, Zitat Ende. Wir hier in der Holy Name tun unser Bestes, um die Auswirkungen der in der Stadt grassierenden Grippeepidemie einzudämmen, und wir können und werden die Missachtung unserer Vorsichtsmaßnahmen nicht dulden.«
Wieder wollte ich eine Entschuldigung vorbringen, diesmal sogar eine gute. Meine Kinder hatten gesund ausgesehen, als wir sie zur Schule geschickt hatten. Doch die negative Stimmung, die von der Mutter Oberin ausging, hielt meine Worte in Zaum. Ich kam mir selbst wieder wie ein Fünftklässler vor.
» Ja, Schwester, es wird nicht wieder vorkommen«, murmelte ich.
Bereits drei Straßenblocks weiter klingelte mein Telefon schon wieder. Diesmal meldete sich McGinnis, Chief of Detectives.
Warum besitze ich überhaupt so ein Ding, überlegte ich, als ich es mir ans Ohr hielt und mich auf die nächste Schimpftirade vorbereitete. Ich wurde nicht enttäuscht.
» Hören Sie, Bennett, ich habe es gerade von Daly erfahren«, dröhnte McGinnis. » Wollen Sie mich feuern lassen? Wie wär’s denn, wenn Sie, statt mit New-York-Times -Reporterinnen rumzuknutschen, einfach das tun, wofür Sie bezahlt werden? Das heißt herausfinden, wer dieser Serienmörder ist! Ihr affiges Verhalten in diesem Fall geht mir tierisch auf den Sack. Ebenso die Art, wie Sie diese Katastrophe handhaben, Sie Experte. Jetzt verstehe ich langsam, warum sich die Leute über Wirbelsturm Katrina so aufgeregt
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