Blutsvermächtnis (German Edition)
hatte. Doch in dieser Situation konnte sie ihn nicht mehr behelligen. Er hatte genug mit den Problemen seines Bruders zu tun.
Korhonen erhob sich ebenfalls und Jayden steuerte seinen Rollstuhl um den Tisch herum.
„Kleines …“ Er brach ab, dafür erhob sein Vorgesetzter das Wort.
„Es tut mir leid, Ms. Morrison.“
Es tut mir leid, Nevaeh
… Korhonens Stimme klang sanft, rief eine Erinnerung hervor wie das eiskalte Flüstern des Polarwindes.
Ehrlich, ich bedaure es zutiefst
…
„… dass wir Sie im Augenblick nicht gehen lassen können. Es ist nur zu Ihrem Besten.“
Nevaeh schaute ihn an. Nicht nur, dass sie nur den halben Satz mitbekommen hatte, sie verstand auch nicht, was er meinte.
„Würden Sie das bitte wiederholen?“ Ihre Lippen zitterten, Angst stieg schleichend ihre Kehle hinauf.
„Sehen Sie es als freundliche Bitte an, für eine Weile unsere Gastfreundschaft zu genießen. Wir möchten Ihnen helfen, Ihre Gabe …“
„Nein!“ Nevaeh brauste auf. „Auf gar keinen Fall. Ich werde jetzt gehen.“ Sie spürte die zarte Hülle des erwachten Vertrauens springen. „Es tut mir leid, Jayden. Ich wünsche dir trotz allem, dass mit deinem Bruder alles gut wird.“ Nevaeh ging zur Tür und öffnete.
Zwei Männer vertraten ihr den Weg. In einer anderen Situation hätte sie ob der Groteske lachen müssen, weil sie wirkten wie die Muskelprotze aus
Men in Black
. Sie ließen ihr Herz schneller schlagen. Gleichzeitig legte sich von hinten eine eiserne Faust um ihren Unterarm.
„Es ist wirklich besser, Sie bleiben, Ms. Morrison.“ Korhonen schob sie einen Schritt voran.
Im Augenwinkel sah sie, wie er den Bodyguards zunickte. Sie legten rechts und links ihre Hände auf Nevaehs Schultern. „Kommen Sie, Ms. Morrison. Wir führen Sie in Ihr Zimmer.“
Mit sanftem Druck zwangen sie sie vorwärts. Nevaeh wandte den Kopf, wollte Jaydens Blick einfangen und suchte seine Unterstützung, doch als sie seinen Ausdruck gewahrte, blieb ihr jedes Wort im Hals stecken. Er wusste es. Er war damit einverstanden, dass man sie gefangen nahm. Er würde ihr nicht helfen.
Atacamawüste – Chile
E lia saß in einem Sessel vor dem Fenster eines Schlafraums der Bediensteten. Nagende Zweifel an seiner Handlungsweise fraßen an ihm. Die Erinnerung an Nevaeh blendete er beim ersten Aufblitzen aus – es würde ihm das Herz zerreißen. Er würde sich wie ein Monster fühlen. Stattdessen ließ er die Ereignisse der vergangenen drei Tage wie einen Film vor seinem inneren Auge Revue passieren.
Nachdem er von Crichton getrunken hatte, hatte er sich in die Bibliothek zurückgezogen und seinen sechsten Sinn schweifen lassen. Die Fähigkeit, die Ausstrahlung von Lebewesen in seiner Nähe zu erspüren und darin wie in offenen Büchern zu lesen, war ihm von Geburt an gegeben. Er hatte Joshuas Aura in der Tiefgarage erfasst.
Der Wissenschaftler war nicht allein. In seiner Gegenwart befand sich das vermisste Dienstmädchen. Maria, die Blauschwarze. Verflucht, was trieb dieser verkorkste Kerl dort? Gütige Götter, das war doch nicht zu fassen! Was er aus Joshuas Aura und Gefühlen schloss, brachte beinahe seinen Herzschlag zum Stocken. Der Hundesohn versuchte tatsächlich, Maria Blut einzuflößen, um ihr Leben zu retten. Elia konnte sich das nur durch die Überlegung erklären, dass Morrison in dem benebelten Zustand während seiner eigenen Rettung irgendetwas mitbekommen haben musste. Den Umstand mit dem Herbeirufen eines Arztes hätte er sich also sparen können, die Gipsschiene hätte er Morrison auch selbst anlegen können. Ein Erinnerungsfetzen musste dem Mann intuitiv sagen, dass seinem Blut eine besondere Heilkraft zugekommen war. Das Problem war nur: Er irrte. Die Spuren des atlantidenen Blutes in Joshuas Körper waren mittlerweile verwischt. Außerdem war die Menge, die er ihm zugeführt hatte, viel zu klein, als dass es reichen würde, Dritten von der Kraft abzugeben. Elia hatte die Dosis genau bemessen. Genug, dass sie Morrison das Leben rettete, zu wenig, als dass beispielsweise Knochen ohne Schiene wieder gerade zusammenwuchsen. Mit etwas mehr Blut hätte Elia weitere medizinische Wunder wirken können, aber das war nicht nötig gewesen. Dabei hätte Morrison sich um weitere zehn oder zwanzig Jahre verjüngt, im Maximum bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich fast jeder menschliche Körper in Höchstform befand. Irgendwo zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig.
Elia war aufgesprungen und hatte im Korridor nach Crichton
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