Blutsvermächtnis (German Edition)
gerufen, jedoch nicht auf das Auftauchen des Butlers gewartet. Ganz sicher würde er ihm folgen und zur Stelle sein, wenn er ihn brauchte. Er hastete durch die Gänge. Hier war bereits aufgeräumt worden, Schutt und beschädigte Möbel entfernt. In den Decken klafften Risse, in denen der nackte Fels zum Vorschein kam. Dieser Zweig des Gebäudes entstammte den Anfängen des Baus. Elia hatte sich in Gedanken notiert, dass eine Modernisierung bestimmter Teile der Anlage längst überfällig war und sie auf einen aktuellen Stand der Erdbebensicherheit gebracht werden mussten. Er erinnerte sich an ein heftiges Beben, das vor Jahrtausenden gravierende Verwüstungen angerichtet hatte. Nicht zum ersten Mal wälzte er die Überlegung, den Wohnsitz aufzugeben und sich an anderer Stelle niederzulassen. Doch was sollte mit der Grabkammer geschehen? Er wollte die Gebeine seines Sohnes nicht umbetten. Und allein lassen konnte er ihn auch nicht. Nein, er war bis ans Ende seiner Tage an diesen Ort gebunden. Niemals würde er es länger als einige Wochen aushalten, ohne an die ihm heilige Stätte zurückzukehren.
Als er die Tiefgarage erreicht und die Metalltür aufgestoßen hatte, erfasste er die Situation auf den ersten Blick. Joshua hielt der Verletzten sein Handgelenk an die Lippen. Blut rann über ihre Mundwinkel den Hals hinab. Augenblicklich erkannte er, dass Maria so gut wie tot war und ein Kampf entbrannte in seinem Innersten. Durfte er zulassen, dass sie starb? War es ihr Schicksal oder beruhte es nicht eher auf seinem Eingreifen in die Geschicke der Leute? Er hatte sie herbeordern lassen. Hätte er das nicht getan, wären sie vielleicht bei dem Beben nicht in Lebensgefahr geraten. Gott, nein. Er konnte sich nicht immer für alles verantwortlich machen, was anderen durch die Begegnung mit ihm widerfuhr.
Joshua hob den Kopf und starrte ihn an. Der Schmerz in seinen Augen spiegelte die Tatsache, dass ihm Maria etwas bedeutete. Er hatte sich verliebt. Nicht auch das noch! Elias Herz zog sich zusammen. Spürte er nicht annähernd die gleiche Pein, seit Nevaeh fort war? Unbemerkt war sie mit Joshuas Hilfe geflohen, während er vor der Grabkammer gekauert hatte.
Seitdem er Morrisons Aura durchkämmt hatte, wusste er zumindest, dass sie nicht ernsthaft verletzt worden war. Das besänftigte seine Bekümmerung – doch gleichzeitig fühlte es sich an, als wäre ihm ein Zipfel seiner Seele entrissen worden. Er war sich seiner Gefühle und der Konsequenzen noch nicht sicher.
Elia war an Morrison herangetreten, und ehe der Wissenschaftler sich regte, setzte er ihn mit einem gezielten Handkantenschlag in den Nacken außer Gefecht. Es geschah dem Mann recht, dass er nicht mitbekommen würde, was er mit Maria anstellte. Er kniete nieder. Die Lanzette kam zum zweiten Mal an diesem Tag zum Einsatz. Er presste einen Blutstropfen aus dem Zeigefinger seiner Linken. Dann öffnete er mit einem Griff in die Wangen Marias Mund, benetzte mit dem Blut ihre Zunge und drückte das vordere Drittel leicht nach unten, um ihren Schluckreflex auszulösen.
Er tastete an Marias Handgelenk nach dem Puls. Nur schwach übertrug sich ein unregelmäßiges Pochen. Eliawartete und zählte die verstreichenden Sekunden. Nach einer Minute verstärkte sich der Herzschlag, doch noch immer war er zu kraftlos, um dem Körper ins Leben zurück zu helfen. Mit einem weiteren Tropfen Blut stabilisierte er Marias Zustand, bis nur noch eine Bewusstlosigkeit aufgrund der Erschöpfung ihren Geist umnebelte. Ihre gequetschten Rippen und der Riss im Lungenflügel waren auf dem Weg der Heilung. Sie würde überleben.
Als er sich aufrichtete, trat Crichton an seine Seite. „Herr, soll ich Morrison in sein Zimmer bringen?“
„Ja, bitte.“
Elia hob Maria auf die Arme und trug sie davon. Er schritt in den Trakt, der für den dauerhaften Aufenthalt von Bediensteten hergerichtet worden und bis vor wenigen Tagen niemals zum Einsatz gekommen war. Während einer Bauphase vor einigen Jahrzehnten hatte er sich von Crichton überreden lassen, einen solchen Gebäudeteil einzuplanen, obwohl er nie den Plan hegte, weitere Angestellte als den Butler in sein Reich einzubinden. Dennoch hatte er dem Prinzen die Freude an der Gestaltung nicht nehmen wollen. Er wusste, dass Charles Crichton, Prince of Pembroke, seines Zeichens königlicher Abstammung, sich von Herzen wünschte, ein Haus voller Leben mit einem glücklichen Herrscherpaar und einer Schar von Kindern zu leiten, dazu einer
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