Blutsvermächtnis (German Edition)
seinen Körper saugen. Er spürte nichts. Nichts, verdammt! Wie all die langen Jahre. Perlen eisigen Schweißes benetzten seine Stirn. Sekunden verrannen, vereint im Rhythmus vereinzelter Wassertropfen, die stetig vor sich hinplätscherten. Er konzentrierte seinen sechsten Sinn auf den Hohlraum hinter dem Fels, erfasste nicht den leisesten Hauch einer verblichenen Aura. Elia ließ sich zurückfallen, lehnte sich mit den Schultern an und starrte hasserfüllt auf die Steine. 12.413 Jahre, sinnlos und verloren. Einsam und voll Schmerz. Womit hatte er das verdient? Warum wollte es ihm nicht gelingen, das Glück zu fassen, das so nahe schien und seine Seele mit einer Ahnung nach Vollendung gestreift hatte. Man hielt einem Verdurstenden keinen Becher Wasser vor die Nase und zog ihn abrupt weg, wenn der Leidende danach griff. Er wollte aufschreien, den stummen, steinernen Zeugen seiner Qualen seine Wut entgegenschleudern, die Frage, die er sich tausendfach gestellt und nie eine Antwort erhalten hatte, hinausbrüllen. Was habe ich getan, dass ich das verdiene?
Doch der Schrei, der mit geballter Kraft den Fels hätte sprengen sollen, rang sich nur tonlos über seine Lippen.
Sein Leben zog an ihm vorüber. Er hatte Fehler begangen, indem er oftmals zu redselig gegenüber den Menschen gewesen war. Seine Spuren zeichneten sich zum Teil in den Geschichtsbüchern ab, jedoch ohne dass die Altertumsforscher es vollbrachten, Zusammenhänge herzustellen oder auch nur an der Wahrheit zu kratzen. So schlimm waren seine Versäumnisse demnach nicht. Ein Stich fuhr ihm in das vereiste Herz, splitterte es in weitere Stücke. Was immer er getan haben mochte, er würde nicht zulassen, dass durch sein Versagen auch noch Mestors letzte Ehre geraubt wurde. Niemand würde seine sterblichen Überreste finden.
Er musste einen Fehler begangen haben, der sich als verhängnisvoller erwies als gedacht: Was hatte jemanden auf die Spur seines mumifizierten Babys kommen lassen? Und vor allem, wen? Eigentlich ergab es überhaupt keinen Sinn mehr, noch darüber nachzudenken, doch der Hass auf diese Person jagte seine Gedanken voran.
Die Anstrengung seiner Überlegungen trieb weiteren Schweiß aus seinem Körper. Sein Hemd klebte am Brustkorb. Es hatte nur einen, nur einen einzigen Menschen gegeben, dem er jemals von Mestor erzählt hatte. Eliakämpfte gegen die stechende Qual der Erinnerung.
Es musste etwa ein halbes Jahrtausend her sein. Die Beziehung zu Annalena. In der Liebe zu dieser Frau hatte er geglaubt, Erfüllung zu finden. Sie war die Tochter eines einfachen Bauern, doch ihre Schönheit und Intelligenz standen den Attributen einer Königstochter in nichts nach. Nachdem sie viele Monate zusammen verbracht hatten, in denen Elia geholfen hatte, Haus und Acker zu bewirtschaften, wollte er mit Annalena davonziehen. Er hielt ihre beidseitigen Gefühle für stark genug, dass er sie in ein schöneres Leben führen konnte. Und vor allem: dass er ihr die Wahrheit über sich gestehen durfte.
Es erwies sich als einer der gravierendsten Fehler seines Daseins. Annalena reagierte nicht wie erwartet. Die gläubige Katholikin begegnete ihm mit Panik. Sie weigerte sich konsequent, ihn zu sehen, noch einmal mit ihm zu sprechen, ihm die Möglichkeit für weitere Erklärungen zu geben. Wochenlang hatte er es immer und immer wieder versucht. Er bekam sie nicht einmal mehr zu Gesicht und eines Tages platzte dem Vater, mit dem er sich immer gut verstanden hatte, der Kragen. Der Bauer jagte ihn mit einer Mistgabel vom Hof.
Elia hatte sogar vorsichtig probiert, sich Annalena mithilfe seiner mentalen Fähigkeiten zu nähern, aber als er spürte, dass er ihren Geist damit noch mehr in Verwirrung stürzte, hatte er aufgegeben. Zu diesem Zeitpunkt zog er sich nach London zurück und wohnte monatelang bei dem Herzog of Gloucester. Bis er Crichton in den Gassen fand.
Sie hatten noch einige Jahrzehnte in der Nähe von London verbracht, unterbrochen von damals noch aufwendigen Reisen nach Chile. Heute flog er mit seinem Jet in wenigen Stunden beinahe einmal um die Erdkugel.
Obwohl er es immer wieder versucht hatte, sah und hörte er nie wieder von Annalena. All seine Anstrengungen, selbst später unter Anwendung seiner übernatürlichen Fähigkeiten, blieben erfolglos. Die Bauern hatten es mit Schläue angestellt – sie hatten Annalena fortgeschickt in ein Kloster, aber sie wussten selbst nicht, in welches sie sich geflüchtet hatte und so gab er auf, als die Zeit
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