Blutsvermächtnis (German Edition)
Handfläche schälte. Dann plötzlich flimmerte und funkelte er und teilte sich. Zwei Falter flatterten mit ihren zarten Flügelchen und binnen eines Wimpernschlags waren es vier, acht, sechzehn.
Tausende. Millionen.
Eine weiche Masse drückte sich von vorn an sie, fing den gewaltigen Aufprall der Bestien ab und ließ sie nur einen sanften Druck spüren, der sich an sie schmiegte und sofort wieder abfederte. Die Schwingen der Sommervögel hielten sie schützend umfangen in einem undurchdringlichen Kokon, den keine noch so scharfen Krallen und keine begierig aufgerissene Schnauze mit ihren Reißzähnen zu durchdringen vermochten.
Und erst recht nicht die Nadel einer Spritze.
Wie ein Bühnenvorhang glitt das silbrige Flattern auseinander, zog sich an die Ränder ihres Sichtfeldes zurück. Korhonen beugte sich noch immer über sie. Sein Gesichtsausdruck verwandelte sich mehr und mehr in Unglauben. Er starrte auf seine Hand, die ihren Arm umklammert hielt, unfähig, mit der Spritze ihre Schutzhülle zu durchdringen. Nevaeh zog den Arm zurück, und es war, als glitte sie durch sein Fleisch und seine Knochen hindurch. Er zuckte zusammen, griff nach ihr, ohne sie festhalten zu können. Erneut versuchte er vergeblich, nach ihr zu fassen und holte unerwartet mit der Faust aus. Sie riss die Arme vor das Gesicht und krümmte sich zusammen, doch nichts geschah. Vorsichtig wagte sie einen Blick zwischen den Fingern hindurch.
Korhonen schnaubte vor Wut. Sein Mund klappte auf und zu wie das Maul eines Fisches auf dem Trockenen. Die Augen beherrschten sein Gesicht, weit aufgerissen und voller Unverständnis. Nevaeh kniff sich in den Arm. Sie war wach, sie spürte das Zwicken. Und doch umfing sie die Hülle der durchscheinenden Falter. Und sie erkannte jäh, was sich abspielte. Ihr Unterbewusstsein hielt sie im Schutz eines Wachtraumes gefangen und verlieh ihr eine undurchdringliche Membran, sodass nichts und niemand ihr ein Härchen krümmen konnte.
Unglaublich!
Sie blickte sich nach Fields um. Mit aschgrauer Haut hockte er auf dem Boden, den Rücken an eine Wand gelehnt. Er starrte ins Leere wie ein Toter.
Nevaeh stützte sich auf die Ellbogen. Langsam schob sie sich rückwärts, bis sie mit angezogenen Knien am Kopfende der Liege saß.
Sofort fasste sie die Möglichkeit der Flucht ins Auge – doch sie glaubte nicht, dass sie die Männer überwältigen könnte. Und die Hunde, die jetzt neben den Bodyguards an Fields Seite saßen. Vielleicht würden sie sie jedoch nicht aufhalten können, solange der Schutz anhielt, aber das Risiko blieb ihr zu groß und Angst fuhr ihr eiskalt in die Glieder. Ob Korhonen das Flimmern wahrnahm? Es hatte sich bis in den äußersten Bereich ihres Blickfeldes zurückgezogen, gerade so weit, dass es die Sicht nicht behinderte und ihr dennoch das Gefühl gab, sich nach wie vor in seinem Schutz zu befinden. Mut berieselte sie.
Mit einem Satz sprang sie auf. Im Augenwinkel erkannte sie, wie Korhonen eine Waffe zog und anlegte. Ein Schuss peitschte durch den Raum. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie einen Schatten unter ihrem linken Auge erfasste und realisierte, dass vor ihrem Wangenknochen eine Kugel steckte. Sie hing einfach im Raum. Ihre Hände flogen nach oben und griffen nach dem Projektil. Sie pulte es heraus, als würde sie eine Walnuss aus der Schale befreien. Zwei weitere Schüsse fielen, und dann eine ganze Kanonade. Alle Kugeln blieben in ihrer Hülle stecken.
Ein irres Lachen überkam Nevaeh. Sie konnte sich nicht beruhigen und lachte immer lauter, bis ihre Trommelfelle bebten. Auch die Bodyguards hielten Waffen in den Händen, doch ihre Arme hingen nach unten und sie glotzten derart blöde, dass es wirkte, als würden ihnen die Augen im nächsten Augenblick aus den Köpfen fallen.
Nevaeh brach das Gelächter abrupt ab und fixierte Korhonen. „So“, sagte sie, und innere Kraft floss in ihre Stimme, vertrieb die Verwirrung und schürte Wut. „Jetzt hat sich das Blatt offenbar gewendet.“ Sie grinste mit einem Anflug von Häme, als er seine Pistole von sich schleuderte. Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf die Tür zu.
Stell dich davor, du Dumpfbacke, versperr ihm den Weg
. Sie meinte den rechts von der Tür stehenden Bodyguard – und der Gedanke entsprach eher ihrem ungebremsten Zorn als gesteuertem Ansinnen. Ihr blieb der Atem weg, als der Man in Black ihrem Befehl prompt nachkam. Sollte ihre Gabe etwa … ihr Blick flog zu den Hunden. Sie winselten
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