Blutsvermächtnis (German Edition)
Faktum bekannt, hätte er wahrscheinlich keine Behelligung zu befürchten gehabt und niemand von ihnen würde in dieser verflixten Lage stecken.
Dass Mestor das Gen nicht trug, wusste Crichton nicht – dafür alles andere, was auch der Informant wissen musste. Wie konnte man nur so blöd sein, ein solches Gen in einer Mumie zu vermuten? Existierte es, müsste sich der Körper in bester Verfassung befinden, und nicht langsam aber sicher zu Staub zerfallen. Woher stammten die Informationen? Niemand käme ohne fundierte Anhaltspunkte auf die Idee, in der Atacamawüste gezielt nach dem Gen der Unsterblichkeit zu suchen. Trotz intensivem Nachdenken fand Elia keinen Fingerzeig. Wut ließ ihm ein für Menschen unhörbares Grollen über die Lippen fließen, gepaart mit Unglauben. Crichton würde es bitter bereuen, bestätigte sich der Verdacht, dem Elia im tiefsten Inneren nicht zuzustimmen vermochte.
Warum hätte Crichton den ersten Tipp an Morrison bereits vor über zwanzig Jahren geben sollen? Drei weitere verteilt bis heute. Es könnte eine Ablenkungstaktik sein, damit er keinen Verdacht seitens Elia auf sich lenkte. Der für Menschen lang scheinende Zeitraum war für Crichton bedeutungslos. Elia biss die Zähne aufeinander. Er sollte auf der Stelle dem Piloten die Umkehr befehlen, aber er verharrte wie gelähmt in seinem Sitz. Es war ihm unmöglich, aufzuspringen und dem Drängen seines Verstandes nachzugeben. Zwei Mal ruckte er nach vorn, doch er schien verschweißt mit dem Polster. Ihm brach kalter Schweiß aus. Ein Zurück gab es ohnehin nicht mehr, selbst wenn er dem Impuls nachgäbe, es darauf ankommen zu lassen, ob Nancy verrückt genug war, ihren Tod in Kauf zu nehmen.
Sein Reich war zerstört, Mestors Grabstätte entehrt. Eine Panikattacke fraß an seinem Herz. Jeder Atemzug bereitete ihm Qual, jede Sekunde seines Daseins geriet zur Unerträglichkeit. Das Leben dieser Menschen oder ewigen Frieden? Er musste eine Entscheidung treffen. Ein gewaltiger Sog wollte ihn aufschreien lassen, dem Piloten seinen Befehl bis in das Cockpit zubrüllen, und eine andere Macht in seinem Inneren versetzte ihm einen Stoß nach hinten, boxte ihm in die Eingeweide und verhinderte, dass er einen Ton aus der Kehle presste.
Elia schloss die Augen, da ließen Noahs Gedanken an seine Schwester einen Funken aufblitzen. Rote Wellen flossen durch sein Innerstes, formten sich zu seidigem Haar, schälten ein Antlitz aus der Glut. Er riss die Lider wieder auf, fegte mit einer wütenden Handbewegung das Fensterrollo hinunter und starrte Nancy mit hasserfülltem Blick an. Erneut schob sich Nevaehs Antlitz in seine Gedanken. Elia wandte sich ab und schlug die Hände vor das Gesicht. Wie aus einem Wasserfall schossen ihm Tränen aus den Augen. Er sah und roch Nevaehs duftendes Haar, das wie reinstes Kupfer in der Sonne glänzte. Ihre geheimnisvollen Pupillen, die ihn stets in eine unendliche Tiefe ziehen wollten.
Dann verschwamm das Bild und machte dem spindeldürren Körper eines wenige Monate alten Babys Platz. Elias Herz krampfte sich zusammen und er vergoss alle Tränen, die er sich in zwölf Jahrtausenden versagt hatte. Es war ihm egal, was die anderen denken mochten, auch wenn Nancys höhnisches Gelächter in seinen Ohren dröhnte.
Langsam beruhigte er sich und fand zu klaren Gedanken zurück. Er durfte sich nicht ständig in seinen Entscheidungenhin- und hergerissen fühlen. Er musste loslassen, endgültig. Für Mestors Seele und für sich. Niemals würde er Frieden finden, niemals würde er die Kraft aufbringen, die Menschen, für die er Verantwortung trug, zu retten. Er würde für ihr Ende verantwortlich sein, so, wie damals für sein Volk. Er schnappte nach Luft, als die letzten Dämme der Erinnerung brachen. Niemals hatte er seine Schuld so klar vor Augen gesehen. Sie wog so schwer, dass er für einen Moment glaubte, sie müsste das Flugzeug nach unten drücken und meilenweit in den Erdboden stampfen.
Nur, weil er als junger Halbgott den Rebellen gespielt hatte, musste Mestor sterben. Und mit ihm ein ganzer Kontinent. Seine Frau, seine Mutter, seine Brüder. Er hatte verweigert, seine Aufgabe zu erfüllen, den Menschen Eden zu erhalten.
Wie sollte er dieses Unrecht jemals gutmachen?
Er sah erneut Nevaehs Gesicht mit den langen Wimpern, ihre schmale Nase, die sinnlich geschwungene Oberlippe, ihr zierliches Kinn. Er spürte den ersten Kuss, den sie ihm im Hinterhof des Paso Los Toros gegeben hatte und ein Brennen legte sich auf
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