Blutsvermächtnis (German Edition)
bringen lassen, Noah weilte Gott sei Dank im Internat und hatte von dem Geschehen nichts mitbekommen. Der Schmerz überfiel ihn so heftig, dass er die Erinnerung mit Gewalt abwürgte. Er lenkte seine Überlegungen wieder den Ausgrabungen zu, die er aufgrund der Hinweise durchgeführt hatte.
Den ersten Auftrag hatte er aus Geldnot angenommen. Das stimmte im Prinzip nicht ganz – er war bereits als Teilnehmer für die von der Uni geplante Expedition eingeschrieben, als sich Mr. Anonymous mit ihm in Verbindung gesetzt hatte und die Position einer Grabstätte nannte. Nur aus Neugierde war er dem Hinweis nachgegangen und hatte ihn zu seiner Überraschung bestätigt gefunden. Der Fund brachte Joshua zusätzlichen finanziellen Erfolg und darauf aufbauend konnte er in rascher Folge die Karriereleiter erklimmen.
Beim zweiten Anruf war es wieder eine bereits geplante Expedition gewesen und der Unbekannte hatte erneut nur Koordinaten genannt. Das dritte Mal schrieb sich Joshua extra zur Teilnahme ein und wieder fand er die Angaben bestätigt. Zwischen den Anrufen lagen jeweils Jahre, in denen er nichts von dem Fremden hörte. Beinahe fünfzehn mochten vergangen sein, als vor achtzehn Monaten der letzte Anruf erfolgte. Joshua hatte das Angebot kategorisch abgelehnt. Nach einer langen Pause am Telefon, in der er sich aus unerfindlichem Grund nicht überwinden konnte, einfach aufzulegen, sprach der Mann weiter.
„Es wird das Leben Ihrer Kinder retten.“
Joshua spürte die eisige Gänsehaut wie damals. Vollkommen überrascht hatte er nach dem Warum gefragt.
„Dieses Mal ist es die richtige Mumie. Bei der Untersuchung wird Ihre Tochter auf das Gen der Unsterblichkeit stoßen.“
Er schenkte dem Mann Glauben, weil er sich an den Strohhalm der Hoffnung klammerte. Weil seine Überlegungen, wie er Nevaeh den Fluch von der Seele nehmen konnte, ihn zu keinen Ergebnissen geführt hatten.
Die Klimaanlage sprang an und plötzlich fuhr Joshua wie von der Tarantel gestochen hoch. Belüftungsanlage. Keine Fenster. Er wusste doch, dass er sich in einem unterirdischen Bauwerk befand. Mit fliegenden Fingern kritzelte er in der Zeichnung herum. Konnte es sein, dass sich die Anlage direkt unter dem Camp befand? Zog sie sich vielleicht bis zu der Grabstätte? Verdammt, dann gäbe es möglicherweise einen Zugang von hier aus.
Er musste aus seinem Zimmer raus! Joshua begann, sein Gefängnis nach brauchbaren Materialien abzusuchen, die er als Dietrich benutzen könnte.
13 Eine Art Unterkleid
14 Reifrockvariante, auch als Taschen dienend
Los Angeles, Kalifornien
M it einer Vollbremsung stoppte Noah den Mustang vor dem geschlossenen Zufahrtstor der Villa. Über die vielleicht dreißig Yards lange Einfahrt starrte er auf die Haustür, strahlendes, unschuldiges Weiß inmitten von der Witterung angegrautem Mauerwerk. Sein Puls dröhnte in den Schläfen. Eine Lähmung nahm von ihm Besitz. Er wusste, dass er aus dem Auto springen und auf den Eingang zurennen wollte, aber sein Arm bewegte sich allenfalls wie in Zeitlupe, als er zum Türgriff langte.
So viele Jahre hatte er das Haus nicht betreten, sogar ein zufälliges Vorbeifahren gemieden, damit ihn der Schmerz nicht in die Fänge bekam. Jetzt brachte Wehmut seinen Atem ins Stocken. Er sah sich als zwölfjährigen durch den Garten rennen, eine wilde Horde kreischender Mädchen im Schlepptau. Außer Nevaeh. Obwohl es die Feier ihres zehnten Geburtstages war, stand sie abseits auf der Terrasse und beobachtete aus ihren geheimnisvollen Katzenaugen die fröhliche Kinderschar. Seit Moms Tod verhielt sie sich häufig in sich gekehrt. Ernst. Sie lachte viel zu selten und steckte ihre Nase mehr in Bücher, als ihr guttat. Er fing ihren Blick ein und las tiefe Traurigkeit, aber auch eine undefinierbare Angst, die er sich nicht erklären konnte. Er liebte Nevaeh. Und er wusste, dass sie an ihm ebenso hing wie an Dad. Doch sie alle litten still. Seinen Schmerz über Moms Tod hatte er lautlos in sein Kopfkissen gebrüllt, während seine Zähne sich in dem Stoff verbissen. Sie hätten gemeinsam weinen sollen.
Noah hatte sich ein Mantra geschaffen aus Worten, die Granny ihm als kleiner Knirps manchmal ins Ohr flüsterte, wenn er mit aufgeschrammten Knien vor ihr stand und die Tränen fließen wollten.
Ein Indianer kennt keinen Schmerz
. Daraufhin hatte er die Lippen zusammengepresst und war jedes Mal vor Stolz drei Inches gewachsen, wenn es gelang, dass ihm kein Stöhnen entwich.
Die Bilder verloren
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