Blutsvermächtnis (German Edition)
sich. Als Junge hatte er zwar die Veränderungen gespürt, aber Nevaeh nur in begrenztemRahmen hilfreich sein können. Er versuchte immer, ihr ein Freund und jederzeit für sie da zu sein. Als Jugendliche lockerte sich Nevaehs Auftreten, spätestens seit sie ihm an die Uni gefolgt war und er hatte sich unendlich gefreut, dass sie allmählich auftaute. Bis sich Jayden in ihrer beider Leben geschoben hatte. Noah schloss für einen Moment die Augen. Ein ungünstiger Zeitpunkt, in Melancholie zu versinken.
Die Wagentür blieb hinter ihm offen stehen, dafür schwang das schmiedeeiserne Tor auf, als er die flache Hand dagegen legte. Langsam näherte er sich dem Hauseingang. Je näher er trat, desto dicker und zähflüssiger schien ihn der Sirup zu umgeben, der seine Bewegungen verzerrte, sein Denkvermögen einwickelte. Ein kalter Windzug strich um seine Wangen. Und dann erfasste er ein Bild, das seine Glieder schockgefrieren ließ. Bereits vom Wagen aus war ihm ein dunkler Fleck aufgefallen, den er nicht weiter beachtet hatte. Jetzt schälte sich dieser hervor und gewann Kontur. Eine grausige. Dunkelrot. Ein verschmierter Handabdruck, gezeichnet aus Blut. Wie das Aufspringen gespannter Metallbänder platzte die Trance von Noah ab. Er stürmte voran, riss die Tür auf. Allenfalls eine Sekunde dachte er an mögliche Gefahren, an Einbrecher, die im Hausinneren auf ihn lauern könnten, doch es hielt ihn nicht zurück.
„Catalina!“ Sein Schrei musste das komplette Haus durchdringen. Horrible Stille antwortete. „Catalina.“ Diesmal geriet seine Stimme zu einem Flüstern. Den Blick auf den Fußboden gerichtet, verfolgte er Blutstropfen, eine degoutante Schnitzeljagd in die Küche. Noah umrundete die Kochinsel, stieß gegen eine geöffnete Schublade. Wie in einem schlechten Film blitzten ihn lange Messer an und er griff automatisch nach einem. Die rote Spur endete vor der zerbrochenen Glastür zur Terrasse. Die meisten Scherben lagen außen. War Catalina die Flucht vor einem Einbrecher geglückt? Warum allerdings zogen sich Blutspuren von der Haustür bis hierher, wenn sie aus der Villa geflohen war?
Er ging zurück in den Korridor, schaltete das Licht ein und entdeckte weitere Spuren, die sich Richtung Wohnzimmer zogen. Wieder blieb er stehen, nichts als das Geräusch seines Atems im Ohr. Die nervtötende Stille kroch mit eisigen Krallen in seinen Nacken. Noah wirbelte herum, die Klinge im angewinkelten Arm von sich gestreckt. War da ein Geräusch? Ein Knirschen unter seinen Füßen lockte sein Augenmerk zu Boden. Fuck! Catalinas Handy – oder was davon übrig war.
Nach und nach dämmerte ihm, dass er sich benahm wie ein Elefant im Porzellanladen. Die einzig richtige Entscheidung wäre es, die Cops zu rufen. Das hätte er bereits vor dem Betreten tun sollen. Er tastete nach dem Telefon in seiner Hosentasche. Fuck! Fuck! Fuck! Es lag auf dem Beifahrersitz.
Der Hausanschluss befand sich in der Küche. Noah hastete zurück zur Eingangstür. Er schob die Messerschneide hinter die Klinke und zog die Tür auf. Ein Bündel Sonnenstrahlen, das zwischen Wolkenbergen hindurchbrach, stach ihm in die Augen und blendete ihn. Welche Ironie, dass die Sonne lachte, während er offensichtlich mitten in ein Verbrechen hineingestolperte.
Er musterte den Blutfleck und sein Magen krampfte sich zusammen. Der Abdruck auf dem Holz offenbarte sich nicht als der zierliche einer weiblichen Hand. Gruselige Bilder starteten sein Kopfkino. Catalina, wie sie von einem Einbrecher überrascht wurde. Eine Messerklinge, mit der sie sich zur Wehr setzte und die letztlich ihrem eigenen Fleisch tiefe Wunden zufügte. Aufbegehren, revoltierender Lebenswille, der sie sich in höchster Not gegen die Terrassentür werfen ließ. Weitere Schnittwunden. Ein kopfloser Versuch des Entkommens; die Erkenntnis, dass es dort hinten keinen Weg aus dem von hohen Mauern umstandenen Garten gab. Atemloses Hetzen zur Vorderseite … und dann: ein eisiger Griff in den Nacken. Das Zurückgeführtwerden in die Villa.
„Gut zusammengefasst.“
Noah fiel vor Schreck das Messer aus der Faust. Ein Lappen flog ihm entgegen.
„Aufheben und die Tür abwaschen.“ Ein maskierter Mann trat mit ausgestrecktem Arm auf ihn zu. „Und den Wagenschlüssel … oder steckt er?“
Atacamawüste, Chile
E lia blieb stehen und wartete geduldig, bis sie erneut ihre Kleidung gerichtet hatte. Nevaeh war froh und dankbar, dass er nach dem unangenehmen Zwischenfall nicht unerbittlich in sie
Weitere Kostenlose Bücher