Blutsvermächtnis (German Edition)
Jahren kennen. Seit Jahrzehnten. Jahrtausenden. Ewig. Sie wünschte, diese Nacht würde niemals zu Ende gehen und doch stand der Morgen drohend wie ein Henker in nachtschwarzem Umhang mit seiner tödlichen Waffe vor ihren Augen.
Eine leise Melodie setzte ein. Zunächst schwelgte Nevaeh in Versunkenheit, bis ihr zu Bewusstsein stieg, dass die Töne zu klar und fein klangen, als dass sie einer noch so exquisiten Hi-Fi-Anlage entstammen konnten. Sie hob den Kopf, ließ den Blick suchend durch den abgedunkelten Raum schweifen. Nach und nach schwoll die Musik an, bis ein gedämpftes, indirektes Licht gedimmt aufflammte und hinter einem sich öffnenden Bühnenvorhang ein Orchester aus dem Schatten zauberte. Die Klänge schlossen mit einem Tusch ab.
„Love Never Dies“ 15 , flüsterte Elia an ihrem Ohr. Ein Wonneschauder durchrieselte sie und umklammerte sie in der Unfähigkeit, den Sinn seiner Worte zu verstehen. „Ich habe das Ensemble für eine Sonderaufführung direkt vom Broadway einfliegen lassen.“
Der
Coney Islands Waltz 16
setzte ein. Nevaeh kannte bereits einige der Stücke von ihrer CD zu Hause, sie liebte Musicals und besonders das Phantom. Doch ein Liveauftritt, eine komplette Aufführung allein für sie … das überstieg ihre kühnsten Erwartungen. Ihr Mund trocknete aus und sie nickte dankbar, als Elia ihr ein Glas reichte und Wein einschenkte. Sie versank in einem Rausch, genährt von der Faszination der Aufführung – oder von Elias Hand, die unaufhörlich ihren Nacken und den Hals entlangstreichelte und hin und wieder für einen Fingerbreit unter den Stoff am Saum ihres Schnürleibchens fuhr. Immer wieder zwang eine Woge Glückshormone sie, den Atemanzuhalten, sie verlor die Konzentration und sich selbst in Elias Berührungen. Sie schmiegte ihren Rücken an seine Brust, und seine Arme schlangen sich um sie, seine Fingerkuppen glitten an ihre Vorderseite und malten hauchzarte Kreise ihren Hals hinab bis an den Ansatz des Dekolletés. Ihr Seufzen verklang in der gekonnten Bühnendarbietung.
Der Vorhang fiel zur Pause, an den Wänden flammten Fackeln auf. Ein leichter Ruck ging durch den Boden. Im Reflex ballte Nevaeh die Hände und klammerte sie in die Stoffe ihrer Röcke, als fände sie dort Halt.
Sie sanken.
Das Sofa samt dem Tischchen und den Stehlampen mit dem gedämpften Licht bewegte sich langsam abwärts und kam eine Etage tiefer zum Stillstand. Noch gemächlicher, als sie in diesen Raum hinuntergeglitten waren, stand Nevaeh auf. Ihre Sinne mussten streiken, so etwas Märchenhaftes gab es nicht. Sie wusste nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Das Licht der Stehlampen war erloschen, und doch herrschte keine Dunkelheit. Die Wände glitzerten und funkelten in allen Farben des Regenbogens. Hier hauchzart und dort intensiv glühend. Ihr schwindelte ein wenig, weil sie, während sie sich im Kreis drehte, die Orientierung verlor. Ihr kam es vor, als schwebte sie im Mittelpunkt des Universums. Sie spürte Elia in ihrem Rücken, noch bevor er seine Hände um ihre Taille schob und sie festhielt.
„Geht nur näher heran“, flüsterte er rau.
Seine Stimme jagte ein Prickeln über ihre Haut. Sie trat an eine Wand. Ungläubig hob sie einen Arm und strich mit den Fingerspitzen über die Edelsteine auf nachtschwarzem Samt.
„Diamanten.“ Elias Atem streifte ihren Hals. „Tränen der Göttinnen, so sagt man.“
„Oh“, erwiderte sie lang gezogen. „Das ist wunderschön.“ Die Steinchen fühlten sich warm und vertraut an, nicht kalt, wie sie getippt hätte. „Aber auch traurig. Da müssen viele Tränen geflossen sein.“
Er drehte sie zu sich um. „Für jede Perle des Schmerzes kehrt das Glück in vervielfältigter Form in reine und liebende Herzen zurück.“
Plötzlich lag sie an seiner Brust, spürte das kräftige Schlagen seines Herzens, das ihren Puls antrieb und ihr den Atem raubte. Sie blickte zu ihm auf. Sein Zopf hatte sich gelöst und das lange dunkle Haar floss wie Seide über seine Schultern. Seine Hände glitten hinab zu ihren Hüften. Es zog sie fest an sich, sodass sie seine Härte spürte. Blitze schlugen ungehindert in ihren Körper, sie verglühte. Für eine Sekunde erhaschte sie ein gefährliches Funkeln in seinen Augen, eine Warnung, die sie von ihm wegkatapultieren sollte. Stattdessen verschweißte es ihre Körper. Nevaeh spürte eine undefinierbare Gefahr, etwas Uraltes, Mächtiges. Eine Kraft, der sie nicht gewachsen war, die sie verschlingen würde mit Haut und
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