Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
erwidert.
»Wir werden auch weiterhin alles daransetzen, die Täter zu fassen«, versprach Moore. Es hatte keinen Zweck, mit Joe Brook zu diskutieren.
»Und die Presse macht ein Riesentamtam. Man muss denen so bald wie möglich eine Antwort liefern, die sie zum Schweigen bringt. Ich erwarte Resultate.« Ohne ihm Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, hatte Brook das Gespräch beendet.
Es stimmte, dass das FBI momentan nicht besonders gut dastand. Nach all dem, was die Federals vor und nach dem 11. September vermasselt hatten, brauchten sie dringend gute Ergebnisse, um ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Der Tag setzte sich fort, wie er schon zu Hause begonnen hatte. Vom Regen in die Traufe.
Und da ahnte Dick Moore noch nicht, was ihn als Nächstes erwartete.
Lieutenant Reynolds erhielt an diesem Morgen einen Anruf, der ins gleiche Horn blies.
Er hatte eine Standpauke von seinem Captain, der ebenfalls ein Frühaufsteher war, über sich ergehen lassen müssen. In anmaßend autoritärem Ton, als hätte er es mit einem blutigen Anfänger zu tun, hatte dieser gepoltert: »Der Polizeichef ist fuchsteufelswild … Er will Ergebnisse sehen … Enttäuschen Sie mich nicht …« Und als genügte das nicht, hatte er ihm auch noch aufgetragen, sich persönlich um den Fall eines bei einem Straßenraub verletzten bekannten englischen Anwalts zu kümmern, der auf Urlaub in New York war. Die Nachricht sei durch alle britischen Medien gegangen.
Der Tag verhieß nichts Gutes. Er fühlte sich unter Druck, und seine Nerven lagen blank.
Für die meisten New Yorker dagegen war es ein Tag wie jeder andere: Die Marathonläufer waren fort und mit ihnen auch der überwiegende Teil der aus allen Ecken der Welt angereisten Zuschauer.
New York City aber blieb sich immer treu. Stets bereit, einen mit offenen Armen zu empfangen, einen in den Himmel zu heben oder in den Abgrund zu stürzen, je nachdem, ob man den Erwartungen entsprach oder nicht. Eine Herrscherin »mit gereckter Brust … ihr Antlitz schön und schrecklich zugleich«.
Es war kurz nach neun Uhr morgens, als das Telefon auf Moores Schreibtisch erneut klingelte.
Er nahm ab und meldete sich in der Hoffnung, dass es Jenny war, die sich für die harschen Worte entschuldigen wollte, mit denen sie ihn fortgeschickt hatte. Sie wusste, dass er sie abgöttisch liebte und furchtbar unter solchen Streitigkeiten litt.
Leider war es nicht Jenny. Er erkannte die Stimme gleich bei den ersten Worten – »Spreche ich mit Director Moore?« – und drückte auf die Play-Taste des Aufnahmegeräts.
»Ja, am Apparat«, antwortete er beherrscht.
»Nun wissen Sie, dass ich mich nicht geirrt habe.«
»Ich habe verstanden, wer Sie sind, und will mich mit Ihnen treffen.«
»Das ist nicht möglich, zumindest im Augenblick noch nicht. Aber gehen Sie in die St. Paul’s Chapel, dort werden Sie eine Nachricht von mir finden.«
»Wo genau?«
»Gehen Sie zu der Glocke auf dem Friedhof an der Rückseite. Sehen Sie in dem Blumenkranz nach, der auf dem Sockel darunter liegt.«
»Aber …«
Der Unbekannte hatte schon aufgelegt. Er behielt offenbar gern die Kontrolle über die Situation.
»Verdammter Hurensohn«, murmelte Moore und verharrte einen Augenblick reglos, ehe er den Hörer aufknallte und die Stopp-Taste drückte. Dann spulte er das Band zurück und hörte sich das Gespräch an. Einmal, zweimal. Er achtete auf jedes Wort, doch es nützte nichts. Er hatte keinen blassen Schimmer, wer der Mann sein könnte. Daneben prägte er sich die Beschreibung des Verstecks ein, obwohl er den Ort gut kannte. Nachdem er seine Glock aus der Schreibtischschublade geholt hatte, steckte er sie in das Schulterholster, das er mit dem Jackett bedeckte, zog seinen Mantel an und rannte beinahe hinaus. Allein.
Er hörte sein Handy nicht.
Der Weg war nicht weit.
Zu Fuß nur fünfzehn Minuten bei normalem Schritttempo.
St. Paul’s Chapel ist die älteste Kirche Manhattans. Zu ihr, die in direkter Nähe der Twin Towers stand und wundersamerweise heil geblieben war, wurden damals nach den Anschlägen die ersten Verletzten getragen. Da sie bald darauf zu einer Art Wallfahrtsort geworden war, stellte sie einen perfekten Platz dar, um eine Botschaft zu hinterlassen und heimlich zu beobachten, ob sie in die richtigen Hände gelangte.
Unterwegs fragte sich Moore, was der anonyme Anrufer wohl von ihm wollte. Er wusste genau, dass hinter vertraulichen Informationen stets ein persönliches Motivsteckte,
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