Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
die tränenfeuchten, vom Weinen verquollenen Augen gesehen.
»Ich? Na was schon? Was denkst du denn? Ich habe ihn weggestoßen und gesagt, dass ich es meinem Vater erzählen würde, wenn er nicht damit aufhört.«
Rocco hatte ihr geglaubt. Und noch im selben Moment Rachepläne geschmiedet.
Er hatte mit Pasquale so viel gemeinsam erlebt und ihn geliebt wie einen Bruder. Doch dieser hatte ihn auf die schlimmstmögliche Art hintergangen. Er hatte seine Abwesenheit ausgenutzt, um Teresa zu belästigen. Dafür musste er bezahlen. Also hatte er ihn ohne viel Federlesensumgebracht. Hatte die erlittene Beleidigung mit Blut abgewaschen.
Eines Morgens, noch vor Sonnenaufgang, hatte er sich in der Nähe des Schafstalls von Pasquales Familie auf die Lauer gelegt, und sobald der ehemalige Freund eingetroffen war und seine schwarze Vespa 50 an einen Baum gelehnt hatte, war er aus seinem Versteck getreten. Er hatte alle fünf Schüsse eines Automatikgewehrs mit abgesägtem Lauf auf ihn abgefeuert. Die Carabinieri hatten den Mord mit irgendwelchen Händeln wegen Viehdiebstählen in Verbindung gebracht, die in jenen Jahren häufig vorkamen. Der Täter wurde folglich nie ermittelt.
Rocco Fedeli war ein paar Monate später in die USA emigriert. Ohne Teresa. Er hatte inzwischen den Beweis erhalten, dass sie ihn belogen hatte: Sie war keine Jungfrau mehr.
»Hallo?«
»’Ntoni?«
»Ja, ich bin’s.«
»Du Arbeiter anweisen … auch deine Buchhalter, damit …«
»Verstehe.«
»Du Arbeiter vorbereiten … In zwei Wochen …«
»…«
»Die … geht heute Abend auf die Reise.«
»Wie viel?«
»Rund fünfhundert Stück.«
»Fünfhundert?«
»Fünfhundert.«
»…«
»Verstanden?«
»Ja.«
»Ciao, schöne Grüße an Diego.«
»Ciao.«
Es war 12.37 Uhr, als der Computer im Raum für Überwachungstechnik der DIA , der mit der Leitung des Anschlusses von Antonio Russo verbunden war, das Gespräch aufzeichnete. Endlich passierte etwas, und der Boss persönlich hatte abgenommen. Ein höchst verdächtiger Wortwechsel. Den Polizisten, der ihn abhörte, überlief es kalt vor Aufregung. Er hatte Antonio Russos Stimme sofort erkannt. Die andere hingegen hörte er zum ersten Mal. Dieser Mann mit dem starken spanischen Akzent hatte noch nie zuvor angerufen. Er ließ das Gespräch noch einmal ablaufen. Und noch einmal. Aber er konnte das Wort vor »geht heute Abend auf die Reise« nicht verstehen, sosehr er sich auch konzentrierte. Er fertigte eine Abschrift an und bezeichnete Russo mit »R« und seinen Gesprächspartner mit »X« für unbekannt. Wahrscheinlich ein Drogenlieferant, mutmaßte er, vor allem aufgrund des kryptischen Gesprächsinhalts. Als er fertig war, übergab er das Protokoll Tenente Oliva, der damit wie ein Wirbelsturm zum Büro von Trimarchi fegte, wo er einige endlose Minuten warten musste, bis der Colonnello ein Telefonat beendet hatte. Dann stürmte er hinein.
»Signor Colonnello, wir haben was Neues!«
Er war wie elektrisiert.
»Okay, berichte, aber immer schön mit der Ruhe. Setz dich erst mal.«
Oliva nahm auf einem Besucherstuhl Platz und reichte ihm das Protokoll. Der Colonnello las es unter mehrmaligemKopfschütteln. Dann griff er zum Telefon und bestellte Capitano Foti, Carracci und Bruni zu sich.
Dieses Gespräch war in der Tat eine Neuigkeit.
Eine gute halbe Stunde später waren alle versammelt.
Tenente Oliva verteilte Kopien des Protokolls an alle.
»Fünfhundert!«, rief Lorenzo Bruni, als er zu Ende gelesen hatte. »Klar, Antonio Russo hat auch einige Baufirmen und nimmt als Subunternehmer Aufträge an, das wissen wir – unter anderem die nie zu Ende geführten Bauarbeiten an der Autobahn Salerno–Reggio-Calabria und solche Sachen –, aber eine Lieferung von fünfhundert Stück … Von was bloß? Müssen die sich denn so unklar ausdrücken?«, schimpfte er.
»Die Lieferung soll in zwei Wochen eintreffen«, sagte Carracci. »Und von wo? Der Gesprächspartner hatte einen spanischen Akzent – man braucht nur zwei und zwei zusammenzuzählen, oder?«
»Es muss sich um Drogen handeln, das denke ich auch«, pflichtete Bruni mit Blick auf die Abschrift bei. »Wissen wir, woher der Anruf kam?«, erkundigte er sich.
»Noch nicht. Aber ich habe die Techniker von der Telefongesellschaft schon darauf angesetzt«, antwortete Oliva.
»Hoffen wir, dass wir es schnellstmöglich erfahren«, bemerkte Carracci.
Der Tenente nickte.
»›Die … geht heute Abend auf die Reise‹ – was
Weitere Kostenlose Bücher