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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Giuttari
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plötzlich gedankenverloren wirkte. Als er sich eben über die Wange gestrichen hatte, hatte er bemerkt, dass er am Morgen unrasiert aus dem Haus gegangen war. Jetzt musste er an Jenny denken. Sie hätte nie zugelassen, dass er so zur Arbeit ging. Wie sehr sie ihm fehlte!
    Reynolds brachte ihn schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Das tun wir bereits«, erwiderte er.
    Sein Gesicht drückte nun keinerlei Zweifel mehr aus.

    Als Colonnello Trimarchi in sein Büro zurückkehrte, war es fast vier Uhr nachmittags.
    Er hatte lange Gespräche über die Aussagen Annunziato Spinas geführt, zuerst mit dem Oberstaatsanwalt und dann mit dessen Stellvertreter, der direkt für die Ermittlungenzuständig war. Nun informierte er unverzüglich die anderen über die getroffene Entscheidung: Sie würden so bald als möglich in Antonio Russos Gutshof eindringen, noch in derselben Nacht oder spätestens Samstagnacht. Das war jetzt eine strikte Anweisung der Staatsanwaltschaft.
    Carracci merkte, wie seine Beine zu zittern anfingen. Was für eine Niederlage. Wie bitter. Was sollte er jetzt dem Polizeichef sagen? Dass eine Entscheidung getroffen worden war, die er nicht mittrug? Er, der nominell die Task Force leitete? Er sagte nichts und fraß seine Wut in sich hinein, obwohl er vor Empörung und gekränkter Eitelkeit schäumte.
    Colonnello Trimarchi dagegen erledigte einen Anruf, als er wieder allein war, weil er das für seine Pflicht hielt. Er wählte das Mobiltelefon von Commissario Ferrara an, der sich beim ersten Klingeln meldete.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Dottore«, sagte er, nachdem er berichtet hatte, »aber ich dachte, Sie sollten die Neuigkeiten möglichst schnell erfahren.«
    »Ich danke Ihnen, Colonnello. Wenn der Staatsanwalt den Einsatz beschlossen hat, sollten wir danach handeln.«
    »Das werden wir, voraussichtlich morgen Nacht«, schloss Trimarchi.
    Und kreuzte abergläubisch die Finger unterm Schreibtisch.

New York
    Das Archiv befand sich in einem Raum, der etwa so groß war wie ein halbes Basketballfeld. Darin standen lauter Stahlregale, über zwei Meter hoch und dicht bestückt mit Aktenordnern, die mit Schildchen in unterschiedlicher Farbe gekennzeichnet waren. Lieutenant Reynolds befandsich im Hauptquartier des NYPD . Er hatte die Aufgabe nicht an jemand anderen delegieren wollen, denn nur er selbst würde eventuelle Widerstände der Archivare überwinden können. In Begleitung eines Angestellten ging er zu dem Sektor, in dem Straftaten gegen Polizisten dokumentiert wurden. Er holte ein Blatt Papier aus der Jackentasche, das Detective Green ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. Darauf waren die Namen der Kollegen aufgelistet, die im vergangenen halben Jahr Diebstähle zur Anzeige gebracht hatten. Er ging die Schilder in den Fächern durch und fand schließlich die Akten, die ihn interessierten. Sie waren ziemlich dünn. Auf jedem Schildchen, das aus dem Aktendeckel herausragte, war ein Diebstahl verzeichnet. Es waren einige, aber verglichen mit den Eigentumsdelikten an New Yorker Bürgern und Touristen doch eine verschwindend geringe Zahl. Die Namen der Opfer auf seiner ausgedruckten Liste waren alphabetisch geordnet. Der Lieutenant las sie nacheinander vor. Es waren 36. Der Archivar fand die Akten mit Leichtigkeit in weniger als zehn Minuten. Er zog sie heraus und steckte stattdessen jeweils eine Karteikarte hinein.
    »Hier sind sie alle, Lieutenant.«
    »Ich hätte gern eine Kopie sämtlicher Unterlagen in jedem Ordner.«
    »Kein Problem, aber das dauert ein Weilchen.«
    »Ich warte.«
    Wenig später kehrte Reynolds mit den Fotokopien in sein Büro zurück.

    Die Maschine um 21.40 Uhr von Rom Fiumicino hatte gerade eine Turbulenz überwunden.
    Ferrara schloss die Augen. Sogleich schweiften seine Gedanken ab und kehrten zu seinen ersten Jahren als Commissario zurück. So viele Erinnerungen. Als sie nun aus der Vergangenheit wieder auftauchten, beschlich ihn ein gewisses Unbehagen. All diese Morde! All diese Toten! Es war ein regelrechter Krieg gewesen. Manchmal kam man sich vor wie in Beirut …
    Er dachte an einige Orte in der Stadt. Sah die Leichen, auch von ganz jungen Leuten, vor sich – auf den Bürgersteigen, mitten auf der Straße oder eingeschlossen in einem Auto, durchsiebt von Schüssen. Die Autos manchmal aufgerissen von Bazooka-Geschossen.
    Nein, das ist kein bloßes Unbehagen, was ich empfinde, sagte sich Ferrara. Wie konnte er je das Leid vergessen, das er bei den

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