Bluttrinker (German Edition)
verursachten ihm eine Gänsehaut.
„Ich glaube beinahe, das ist dein Ernst!“
Er stemmte die Arme auf die Tischplatte, sein eingefallenes Gesicht Zentimeter
von Lukas entfernt. „Ich habe das hier zu verantworten, Junge! Meinetwegen seht
ihr alle dem Tod ins Auge. Auch die Jäger da draußen. Der einzige Grund, den
ich mir vorstellen kann, warum mich noch immer niemand getötet hat, ist, dass
ihr mich dadurch bestrafen wollt.“
Lukas schüttelte den Kopf. Die Jäger hatten entschieden, den
Verräter dem Rat zu übergeben. Mitleid spielte dabei eine Rolle, das wusste
Lukas, zumindest was seinen Vater betraf.
Bluttrinker starben nach dem Verlust ihrer Gefährtinnen an Auszehrung, da sie
nicht fähig waren, sich langfristig von anderen Quellen zu nähren. Die meisten
wählten lange vorher den Freitod, indem sie in die Sonne gingen. Und sei es
nur, um ihre Würde zu wahren.
In trüben Winterzeiten glich diese Art Selbstmord zu begehen, einer langen und
qualvollen Folter. Lukas nahm dem Mann nicht übel, dass er das Schwert eines
Jägers vorgezogen hätte. Er bezweifelte allerdings, dass jemand ihm den Gefallen
tun würde. Die Jäger waren nicht bereit, sich in Marius Schicksal einzumischen.
„Die Alten Götter haben das verursacht, indem sie deine
Familie töteten. Ich kann nicht für die Anderen sprechen. Ich weiß nicht, wie
ich an deiner Stelle gehandelt hätte. - Ich bezweifle, dass Antonius dich zum
Tod verurteilt“, schob Lukas hinterher.
„Das ist ja auch überflüssig.“
„Vielleicht solltest du dich an Jeremias wenden, wenn das hier vorbei ist.“ Man
erzählte sich, sein Durst nach Rache sei stärker gewesen als sein Bedürfnis
nach Blut. Das habe den Jäger am Leben erhalten, nachdem die Alten Götter vor
Jahrhunderten seine Gefährtin töteten. „Es hat immer ein paar gegeben, die
überlebten.“
Ein bitteres Grinsen verzog Marius Gesicht.
„Ja. Jeremias wird mir gute Ratschläge geben. Nachdem ich dafür gesorgt habe,
dass die Alten Götter einen wesentlichen Teil seiner Organisation zerschlagen.“
Er runzelte die Stirn. „Du bist der Sohn eines seiner engsten Vertrauten.
Sicher weißt du es besser.“
Jetzt war es an Lukas, den Ratsherrn anzustarren.
„Dein Vater hat dir nie erzählt, wie Jeremias das fertigbrachte?“
Marius gab ein Schnauben von sich, halb Unglaube, halb Verachtung.
„Dann erkläre ich dir, wie das geht. Er hat sich ein halbes Dutzend Blutsklaven
geschaffen, von denen er sich die ersten Jahrzehnte nach Ances´ Tod
ausschließlich nährte. Das ist eine relativ aussichtsreiche Methode – sofern
wir die psychischen Auswirkungen, die Depression, überstehen.
Das ist der Hauptgrund, weshalb sich viele Ratsmitglieder jahrzehntelang geweigert
haben, das Erschaffen von Blutsklaven unter Strafe zu stellen. Jeremias selbst
hat noch länger gezögert, seine Jäger anzuhalten, dieses Gesetz durchzusetzen.
Glaubst du, dein Vater wird in Erwägung ziehen, sich zu retten, wenn deine
Mutter heute Nacht stirbt?“
„Nora wird nicht sterben!“
Dass Jeremias vor Jahrhunderten, wie die meisten Bluttrinker, Sklaven
geschaffen hatte, war kein Geheimnis. Johann zu unterstellen, er könnte heute
in Betracht ziehen, sich durch solch menschenverachtendes Verhalten zu retten,
versetzte Lukas in Wut, sodass er aufsprang, bereit, den Ratsherrn anzugreifen.
Nur der Verdacht, dass der Bluttrinker ihn als Instrument für einen schnelleren
Tod benutzen wollte, hielt ihn zurück. Doch Marius hob abwehrend die Hände.
„Nein. Er würde das nicht tun. Keiner der Jäger. Vielleicht
nicht einmal Jeremias. Sollte er erneut in diese Situation geraten.“
Der Ratsherr ließ die Schultern sinken. Er wandte den Blick zu Boden, bevor er
schlurfend die Zentrale verließ. Die Depression hatte ihn wieder eingeholt.
Samuel und zwei weitere Wächter meldeten, dass die
Installation der im Hauptquartier verbliebenen Feuerwerkskörper abgeschlossen
war.
Es handelte sich um ein paar Kisten unterschiedlicher Böller, die einfach nicht
mehr auf die Ladefläche des Transporters gepasst hatten. Nur deshalb hatten die
Jäger sie zurückgelassen.
Lukas blickte auf, als sich hinter ihm die Tür öffnete und
Maike mit besorgter Miene auf ihn zu kam.
„Ich weiß nicht, ob es wichtig ist“, flüsterte sie.
Lukas zog sich die Kopfhörer von den Ohren. Dass Maike ihn in dieser Situation
aus einem unwichtigen Grund stören würde, konnte er sich nicht vorstellen.
„Wir können Marius nicht finden.“
„Was heißt, ihr
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