Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluttrinker (German Edition)

Bluttrinker (German Edition)

Titel: Bluttrinker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Bender
Vom Netzwerk:
ihre
Oberarme und pressten sie gegen nackten Beton. Ihre Augen trafen sich.
Tony starrte wie ein verängstigtes Kaninchen in diese unglaublich blauen
Raubtieraugen. Was hatte sie nur getan? Was hatte sie sich dabei gedacht?
    Ihre Aufmerksamkeit fiel auf die Halbkugel einer
Überwachungskamera an der Decke vor den Fahrstuhltüren. Lukas bemerkte ihren
Blick.
„Mach dir nicht zu viele Hoffnungen wegen der Kamera. Sie erfasst diesen
Bereich nicht.“
    Die Tür des Lifts öffnete sich, nur wenige Meter neben ihr.
Lukas drehte sich nicht einmal nach den fünf fröhlich schwatzenden Jugendlichen
um, die auf die Tür zum Kino zustrebten.
Gleichzeitig kam ein junges Paar die Treppe herauf. Der Mann hielt den Arm um
die Schulter seiner Freundin geschlungen.
    „Hilfe!“
Tonys Stimme gehorchte ihr noch immer nicht. Sie wollte schreien, kreischen,
brüllen! Aber heraus kam nur eine Art ängstliches Fiepen. Es war wie in einem
Albtraum. Dennoch wusste sie sehr gut, dass diese Menschen sie hören müssten.
Und die Situation, in der sie sich befand, war unmissverständlich.
    Die Teenager verschwanden im Kinocenter, ohne ihr oder Lukas
einen Blick zuzuwerfen. Das Paar blieb sogar stehen und tauschte einen innigen
Kuss, bevor der junge Mann die Tür aufstieß. Es war nicht so, dass diese Leute
die missliche Lage, in der sie sich befand, ignorierten. Sie bemerkten sie
einfach nicht!
    Lukas ließ diese Erkenntnis auf Tony wirken, bevor er
fragte: „Was weißt du über mich?“
    Tony antwortete nicht. Sie konnte die Tränen nicht länger
zurückhalten. Sie hatte Angst, ja, maßlose Angst. Aber das war nicht der Grund,
weshalb sie weinte. Sie hatte tatsächlich geglaubt, wenn sie ihm wieder
begegnete … Gott, wie hatte sie nur so dumm sein können?
Dieser Mann war ein Raubtier unter den Menschen. Alles, was er für sie
empfunden hatte, in dieser Nacht, war das Verlangen des Räubers nach seiner
Beute gewesen.
    Lukas ließ ihren Arm los, presste sie aber mit seinem Körper
weiterhin an die Wand. Die Handfläche drückte er gegen ihre Stirn, die Finger
in ihr Haar gekrallt. Er schloss die Augen, das Gesicht eine Maske äußerster
Konzentration. Wieder hörte Tony seine lautlose Stimme durch ihren Kopf hallen,
eindringlicher diesmal, befehlend.
Sie hatte ihn nie gesehen, niemals gekannt, nie berührt. Sie verstand ihn
deutlich.
Er öffnete die Augen und starrte in die Ihren. Ihr Schrecken traf auf seine
Ratlosigkeit.
Noch mehr fremde Menschen, denen ihre Anwesenheit völlig entging, bewegten sich
hinter ihnen vorbei, bevor Lukas sie einfach losließ.
    Er trat einen Schritt zurück und setzte sich auf die Stufen,
die zu einem höher gelegenen Parkdeck führten. Dabei ließ er sie nicht aus den
Augen, aber er berührte sie nicht mehr.
„Warum läufst du nicht weg?“ fragte er.
„Würdest du mich denn laufen lassen?“
„Das kann ich nicht.“
„Warum soll ich es dann versuchen?“
Ihre Antwort schien ihn zu verärgern.
„Ich kann dich nicht beeinflussen“, sagte er, in einem Tonfall, als erwartete
er eine Entschuldigung von ihr. „Ich kann dieses ganze verdammte Kino davon
überzeugen, dass keiner von uns beiden existiert. Nur auf dich habe ich keinen
Einfluss.“
So weit hatte sie durchaus verstanden.
„Was wirst du jetzt tun?“ Ihre Stimme klang hell, ängstlich.
Er legte den Kopf in seine Handflächen, rieb sich das Gesicht. Wieder gingen
Menschen an ihnen vorbei, ohne sie auch nur zu sehen.
Tony täuschte sich nicht.
Sobald sie eine falsche Bewegung machte, würde er sie einfangen. Sie hatte
seine Kraft gespürt, seine Schnelligkeit gesehen. Irgendetwas in ihr wusste ganz
genau, wen und was sie vor sich hatte.
„Ich kann nichts tun“, sagte er. „Aber es gibt noch andere Möglichkeiten.“
Er zog ein Handy aus einer Innentasche seiner Lederjacke und drückte eine
Kurzwahltaste. Nach einer knappen Begrüßung, der sie entnahm, dass sein
Gesprächspartner auf den Namen Johann hörte, benutzte er eine Sprache, die sie
nicht verstand.

11
    Draußen war ein warmer, sonniger Sommertag angebrochen.
Lukas saß vor dem Schreibtisch seines Vaters und sah zu, wie Johann Jäger vor
der sorgfältig verdunkelten Fensterfront auf und ab schritt.
    Lukas fühlte sich müde und ausgehungert. Johann hatte ihn
und die junge Frau im Parkhaus des Kinos abgeholt. Es war ihnen nichts übrig
geblieben, als sie mit körperlicher Gewalt zu beherrschen und den Menschen in
ihrer Umgebung die Szene, die sich vor ihren Augen zutrug, zu verschleiern.

Weitere Kostenlose Bücher