Bluttrinker (German Edition)
schüttelte unwillkürlich den Kopf, irritiert von ihrer spontanen,
unvernünftigen Reaktion. Sie wollte ihre Erinnerungen nicht hergeben!
„Wir haben dich hierher gebracht“, fuhr er fort, „damit du mit niemandem über
mich sprichst. Du musst das verstehen. Unsere ganze Art wäre gefährdet, wenn
die Menschen erführen, dass es uns tatsächlich gibt. Unser oberstes Gesetz
besagt, dass eine Entdeckung auf jeden Fall vermieden werden muss. Wenn wir
dich gehen lassen, mit deiner Erinnerung, machen wir uns strafbar.“
Er hatte es bisher nie nötig gehabt, in den Mienen der
Menschen zu lesen. War da noch etwas anderes als Angst, in Tonys Gesicht?
Begriff sie, was er ihr erklärte?
Könnte er ihre Gedanken erkennen, fiele ihm ganz sicher etwas ein, um sie zu
beruhigen. Allerdings wäre es dann auch egal, was sie von ihm hielt. Warum
musste das Leben nur so unnötig kompliziert sein?
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten dein Gedächtnis zu
verändern. Welche wir wählen, hängt hauptsächlich davon ab, ob du bereit bist
zu kooperieren. Am einfachsten wäre, dir beizubringen, dich in eine Art Trance
zu versetzen. Das würde es dir ermöglichen, deinen Geist trotz deiner starken
Barrieren zu öffnen. Vor allem für dich selbst wäre es die schonendste
Methode.“
Tony starrte ihn nur schweigend an. Da keine erkennbare Reaktion von ihr kam,
fuhr er fort.„Du verfügst über telepathische Fähigkeiten. Deshalb konnte dein Gehirn
so schnell lernen, sich vor uns zu verschließen. Es sollte dir leicht fallen,
die Trance zu erlernen.“
Tony schnaubte. „Du meinst, ausgerechnet jetzt, nachdem du mich nicht mehr zu
irgendetwas zwingen kannst, erwartest du von mir, dass ich das freiwillig
zulasse?“ Ihre Augen funkelten wütend.
„Tony, wir werden dein Gedächtnis modifizieren! Das müssen wir, um unseren
Gesetzen Genüge zu tun. Es gibt noch andere Wege. Aber wir könnten deine Gabe
beschädigen, wenn wir es gewaltsam versuchen.“
Tränen traten in Tonys Augen. Wut oder Angst?
„Ich hab genug Dummheiten gemacht. Ganz bestimmt helfe ich euch nicht, mich für
dumm zu verkaufen. Diese Nora hat schon versucht, mir diesen Telepathiekram
einzureden. Das wüsste ich ja wohl selbst am besten, wenn ich Gedanken lesen
könnte. Ich glaube dir kein Wort.“
„Aber du glaubst, dass ich ein Vampir bin, nicht wahr? Wenn es mich gibt,
könnte es doch auch Telepathie geben.“
Tony wandte das Gesicht ab, als die erste Träne überlief und ihre Wange
hinunter kullerte.
Lukas ging zu dem kleinen Schreibtisch hinüber, auf dem eine Schachtel
Kosmetiktücher stand. Er riss sie auf und reichte sie ihr. Niemals zuvor hatte
er sich so hilflos gefühlt.
Er bereute zutiefst, dass er die Schuld an ihrer Situation trug. Gerne hätte er
sie in den Arm genommen. Doch selbst wenn er geglaubt hätte, sie wollte seine
Berührung, traute er sich selbst nicht, wusste nicht, ob er es bei einer
freundschaftlichen Geste belassen konnte. Ihre Gegenwart und ihr Geruch gaben
seinem Verlangen nach ihr neue Nahrung.
Nach einer Weile wischte Tony die Tränen weg und putzte sich
die Nase. Es erleichterte ihn, dass sie sich beruhigte. Dennoch wich er ihren
verheulten Augen aus.
„Dann erkläre ich dir, welche Möglichkeiten wir noch haben. Erstens gibt es ein
Medikament, mit dem wir bestimmte Teile deines Gehirns vorübergehend lahmlegen
können, die für Fähigkeiten wie Telepathie zuständig sind. Einer davon ist auch
für deine geistige Abwehr verantwortlich. Bei den meisten Sterblichen würde
überhaupt nichts geschehen, weil diese Hirnwindungen bei ihnen sowieso nicht
funktionieren. Das Zeug wird üblicherweise bei Bluttrinkern eingesetzt. Bei
Menschen kann die Nebenwirkung auftreten, dass diese ausnahmsweise aktivierten
Gaben nicht wieder anspringen. Das betreffende Hirnareal bleibt für immer
deaktiviert. Das kommt zwar selten vor, aber es kann passieren.
Die letzte Möglichkeit, deine Erinnerung zu verändern, bestünde darin, dass
mehrere Bluttrinker sich geistig zusammenschließen. Sie können so genug Energie
aufbringen, um die stärksten Barrieren aufzubrechen. Das wäre tatsächlich die
letzte Möglichkeit, die wir wählen würden. Es ist für alle Beteiligten eine
unangenehme Erfahrung.“
„Ich werde auf keinen Fall ein Medikament schlucken. Woher
soll ich wissen, dass ihr mich nicht vergiftet?“
„Tony, sei nicht albern. Wenn wir dich umbringen wollten, hätten wir das längst
tun können.“
„Vielleicht haltet ihr mich ja gefangen,
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