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Bluttrinker (German Edition)

Bluttrinker (German Edition)

Titel: Bluttrinker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Bender
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sollten uns daran erinnern, worauf
dieses staubige alte Buch zurückgeht.“ Er deutete auf den zerkratzten
Ledereinband und ignorierte Marius säuerliche Miene.
„Die Gesetze unseres Volkes sind aus eben diesen Gewissensentscheidungen jener
alten Jäger entstanden“, bemerkte ein rothaariger Mann aus Jeremias Gefolge.
„Es ist nichts anderes, als eine Sammlung von Präzedenzfällen. Sollte sie nicht
vollständig sein, ist es unsere Pflicht, sie zu ergänzen.“
Johann nickte. „Wenn wir keine Handhabe besitzen, um mit dem Problem Breitner
umzugehen, müssen wir uns eine schaffen. Und es gibt bereits einen
Präzedenzfall.“
„Das ist völlig inakzeptabel“, polterte Antonius.
„Ich denke, ich spreche für alle Jäger, wenn ich Jeremias bitte, seine Sicht
darzulegen. Schließlich war es seine Entscheidung, die hier zur Debatte steht.“
Arne warf seinem Anführer einen auffordernden Blick zu, aber Marius war
schneller.
„Ich muss protestieren. Jeremias Entscheidung würde heute dazu führen, dass er
selbst angeklagt würde. Und ich kann nicht umhin zu vermuten, dass jeder andere
Jäger schon damals für eine derart eigenmächtige Handlungsweise zur
Rechenschaft gezogen worden wäre.“
„Da hast du völlig recht, Marius.“ Wer Jeremias gut kannte, konnte die
Belustigung aus seiner Stimme heraushören.
„Der damalige Rat, dem auch dein geschätzter Kollege Antonius angehörte,
beschloss im Jahre 1892, mein Urteil nachträglich für rechtens zu erklären.
Unter anderem, weil sie mich sonst wegen Mordes hätten verurteilen müssen.
Zusätzlich zu der Überlegung, dass die Gemeinschaft nicht auf meine Dienste
verzichten wollte, wussten sie nicht so recht, wie sie dieses Urteil
vollstrecken sollten. Kein Jäger hätte sich dazu bereit erklärt. Davon
abgesehen, dass ein anderer Bluttrinker mich erst mal hätte zur Strecke bringen
müssen.“
„Ich gebe gerne zu, dass dieser Ratsbeschluss, den ich nicht allein zu treffen
hatte, nicht optimal war.“ Antonius warf wütende Blicke in die Runde. „Er wurde
aus einer Zwangssituation heraus getroffen und unter großem öffentlichen
Druck.“
„Hören wir auf um den heißen Brei herumzureden“, unterbrach Johann ungeduldig.
„Wir alle kennen die Situation, der Jeremias gegenüberstand. Ebenso wie beinahe
jeder Mensch auf der Straße. Wenn wir diese Menschen fragen würden, ob sie
glauben, man hätte Jack the Ripper besser resozialisieren sollen, anstatt ihn
zu töten, würden die Meisten von ihnen die gleiche Entscheidung treffen. Wir
alle hätten das getan. Ungeachtet der Konsequenzen für uns selbst. Nie zuvor,
und seither niemals wieder, hat ein Bluttrinker unser Volk in so krasser Weise
in Gefahr gebracht.“
„Was Breitner betrifft, besteht keine Gefahr mehr, seid er festgesetzt wurde.
Weder für uns noch für die Sterblichen. Breitner wird erst auf freien Fuß
kommen, wenn er von seinem Problem befreit werden konnte.“
Jeremias melodisches Lachen erfüllte den Raum. Es lag kein Humor darin.
„Ja, so wie er die letzten beiden Male behandelt wurde. Wir sehen ja, wohin
diese wieder Eingliederungsversuche geführt haben!“
„Antonius, ich beschwöre dich!“ Arne wandte sich an den Ratsältesten. „Wir müssen
uns damit abfinden, dass es verschiedenste Fälle von Geistesgestörtheit gibt.
Auch solche, die nicht behandelt werden können. Blutgier ist nur eine davon.
Auch den Menschen bleibt zuweilen nichts übrig, als ihre Bevölkerung vor einer
Bestie zu schützen. Aber es ist ausgeschlossen, einen Bluttrinker
jahrhundertelang wegzusperren. Wir müssen ihn töten!“
„Ich kann nur wiederholen, dass es dafür keinerlei rechtliche Grundlage gibt“,
hielt Marius ihm störrisch entgegen.

27
    Sichtlich erschöpft lehnte Johann sich drei Stunden später
in seinem Sessel zurück. Er klang gleichermaßen gereizt wie frustriert.
„Kein Ergebnis ist auch eine Antwort.“
    Nur die Anführer der Jäger und Lukas waren im Konferenzraum
zurückgeblieben. Die Ratsmänner hatten das Hauptquartier längst verlassen. Die
meisten Jäger begaben sich zu den ihnen zugewiesenen Unterkünften oder gingen
vor Einsetzen der Dämmerung noch schnell auf die Jagd.
    Lukas überflog die Zeilen, die er notiert hatte.
„Ich habe Bedenken, ob ich den richtigen Ton treffe“, gestand er seinem Vater,
während er sich mit zwei Fingern in die Nasenwurzel kniff. Der Druck dämpfte
ein wenig das Hämmern in seinem Schädel. Es war deutlich schlimmer geworden,
seit er am frühen Abend

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