Bluttrinker (German Edition)
erfahren hatte, dass er dieses Wochenende nicht in
Klarenberg verbringen würde. Johann musste alle Kräfte im Hauptquartier
behalten.
Das Verlangen nach Blut wurde bereits wieder schmerzhaft,
noch früher, als er befürchtet hatte. Seine Abhängigkeit von Tony verstärkte
sich weiter.
Es konnte nicht allzu lange dauern, bis der Hunger seine Leistungsfähigkeit
beeinträchtigte. Zuerst würde er zunehmend gereizt und unbeherrscht reagieren.
Später würde er nicht mehr fähig sein, sich auf etwas zu konzentrieren, was
nicht mit der schnellstmöglichen Befriedigung seines Hungers in unmittelbarem
Zusammenhang stand.
Schon jetzt spürte er beim bloßen Gedanken an seine Geliebte den Druck in
seinem Oberkiefer, der dem Ausfahren der Reißzähne vorausging. Lukas erlegte
sich äußerste Selbstkontrolle auf. Das fehlte noch, dass er wie ein
Zwölfjähriger die Kontrolle über seine Zähne verlor.
„Lass Christopher das Protokoll durchsehen, bevor du es
verteilst“, wies Johann ihn an.
Lukas nickte matt.
„Uns bleibt nur, gute Miene zum schlechten Spiel zu machen.“
Jeremias hatte selten so grimmig geblickt. „Du musst Breitner dem Rat
übergeben, sobald er sich erholt hat.“
„Er wird keine Schwierigkeiten haben, ihnen weiszumachen, er sei harmlos“,
prophezeite Arne. „Der Kerl ist ein Psychopath. Dumm ist er nicht. Ich habe ihn
mir vorhin, als ich kam, kurz angesehen.“
„Man sollte diesen Sturköpfen die Leichen der missbrauchten Kinder vor die
Haustür kippen! Vielleicht würden sie dann begreifen, womit sie es zu tun
haben!“
Jeremias Zorn erinnerte Lukas daran, dass sein ehemaliger Lehrer sich um die
Gerichtsmediziner gekümmert hatte.
Die breiten Doppeltüren des Konferenzraumes standen weit
offen. Nur Lukas saß mit dem Gesicht in diese Richtung und sah auf den
mittlerweile leeren Flur hinaus. Er überlegte erschrocken, ob sein Blutdurst in
ein neues, bisher nie gekanntes Stadium gelangte, als der köstliche,
unverwechselbare Duft seiner Geliebten ihm um die Nase wehte. Wenn er nun auch
noch Halluzinationen bekam, wurde die Sache wirklich schwierig!
Unwillkürlich reckte er den Hals und spähte hinaus. Da waren eindeutig Schritte
und die Stimme eines Wächters zu hören.
Als Erstes fiel ihm die kurvenreiche Gestalt einer in
klassischer Eleganz gekleideten Blondine ins Auge: Nora.
Seine Mutter trat zur Seite und Lukas vergaß, wo er sich befand. Er dachte weder
daran, dass er sich unhöflich verhielt, noch dass er Tony erschrecken könnte,
wenn er sich ihr an diesem ungewohnten Ort mit der erstaunlichen
Geschwindigkeit näherte, zu der nur ein durstiger Bluttrinker fähig war.
Aber Tony erschrak nicht. Sie kam ihm entgegen und schmiegte
sich, ohne zu zögern, in seine Arme. Offensichtlich hatte er nicht als Einziger
unter ihrer Trennung gelitten.
Sie in seinen Armen zu spüren und den Geruch ihres Blutes aufzunehmen
besänftigte den emotionalen Teil von ihm. Doch ihre Nähe bereitete der anderen,
von physischer Gier erfüllten Hälfte seines Selbst noch größere Qualen. Erneut
schaffte er es nur knapp, seine Zähne zurückzuhalten. Es war unbeschreiblich
sie hier zu haben, aber er musste noch immer warten.
Er hauchte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, doch er
konnte den Blick kaum von Tonys leicht gerötetem Gesicht abwenden. „Wie kommt
du hierher?“
„Hat Johann Dir nichts gesagt?“, antwortete Nora an ihrer Stelle. „Das sieht
ihm ähnlich, mich herzubestellen und dann zu vergessen.“
Lukas bezweifelte, dass sein Vater Nora jemals vergessen
würde.
Johann quälte der Durst noch nicht so stark wie ihn. Aber er hatte bemerkt,
dass auch sein Vater sich einem Zustand näherte, der seine Leistungsfähigkeit
einschränkte. Das konnte er sich in der gegenwärtigen Situation nicht erlauben.
Lukas Mutter begab sich des Öfteren nach Frankfurt, wenn ihr Gefährte im
Hauptquartier unabkömmlich war. Allerdings hätte Lukas niemals damit gerechnet,
dass sie Tony mitbringen könnte.
Im Hintergrund verabschiedeten sich Jeremias und Arne. Lukas bekam davon nichts
mit.
Was jetzt? Er konnte Tony unmöglich mit in seine karge Unterkunft nehmen, mit
Sergej hinter der nächsten, viel zu dünnen Wand.
„Zu Johanns Räumlichkeiten hier gehören zwei Schlafzimmer.
Ich habe mir die Freiheit genommen, Tony im kleineren einzuquartieren.“
Den letzten Satz sprach Nora zu einer Person hinter Lukas. Er brauchte sich
nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es sein Vater war. Er trat ein paar
Schritte zur
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