Blutvertrag
Straßenecke. Dort hole ich dich ab.«
»Wieso verschwinden wir nicht beide auf die Art und Weise und lassen deinen Wagen einfach stehen?«
»Zu Fuß sind wir geliefert. Und wenn wir einen anderen Wagen stehlen, liefern wir uns erst recht ans Messer.«
»Also willst du dir eine Schießerei mit ihm liefern?«
»Er hat ja keine Ahnung, dass ich weiß, was für einen Wagen er fährt, und meint, er ist unerkannt hier. Wenn du nicht mit mir rauskommst, wird er denken, du bist noch aufs Klo gegangen und kommst gleich nach.«
»Und was wird er tun, wenn du ohne mich wegfährst?«
»Vielleicht kommt er hier rein, um nach dir zu suchen, oder er folgt mir. Ich weiß nicht, aber eines weiß ich: Wenn wir gemeinsam aus der Tür da gehen, schießt er uns beide über den Haufen.«
Während sie über die Lage nachdachte, kaute sie auf der Unterlippe.
Nach einer Weile merkte Tim, dass er zu offensichtlich auf ihre Lippe starrte. Als er den Blick hob, sah er, dass sie ihn dabei beobachtet hatte, deshalb sagte er: »Wenn du willst, kann ich dir beim Kauen helfen.«
»Wenn du ihn sowieso nicht erschießen willst«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, »wieso kann ich die Pistole dann nicht selbst mitnehmen?«
»Ich werde die Schießerei ja nicht anfangen . Aber wenn er das Feuer auf mich eröffnet, dann habe ich noch andere Verteidigungsmöglichkeiten, als ihm meine Schuhe an den Kopf zu werfen.«
»Diese kleine Pistole mag ich nämlich wirklich sehr.«
»Ich verspreche dir, sie nicht kaputt zu machen.«
»Weißt du überhaupt, wie man mit so etwas umgeht?«
»Ich bin doch keiner von den Typen, die sich die Brusthaare ausreißen lassen.«
Widerstrebend schob sie ihre Handtasche über den Tisch.
Tim stellte die Tasche auf die Sitzbank neben sich und sah sich um, ob er von anderen Gästen oder einer Kellnerin beobachtet wurde. Dann zog er die Waffe heraus, schob sie sich in den Hosenbund und zog sein Hawaiihemd darüber.
Lindas Blick war nun nicht mehr scharf, sondern so ernst und vielsagend wie das Meer. Er hatte den Eindruck, dass sie ab diesem Moment ein neues, tieferes Verständnis von ihm hatte.
»Dieses Café hat vierundzwanzig Stunden geöffnet«, sagte sie. »Wir könnten einfach sitzen bleiben, bis er verschwindet. «
»Wir könnten uns auch einreden, da draußen würde gar nicht er warten, sondern jemand ganz anderer, der nichts mit uns zu tun hat. Dann könnten wir einfach hinausgehen und es hinter uns bringen. Viele Leute würden das tun.«
»Im Jahre 1939 hätten das nicht viele getan«, sagte sie.
»Zu schade, dass dein Ford keine echte Zeitmaschine ist.«
»Sonst würde ich zurückreisen, all die Jahre. Denk nur an die Shows von Jack Benny im Radio, oder daran, wie Benny Goodman im Waldorf-Astoria gespielt hat …«
»In dem Jahr hat auch der Zweite Weltkrieg angefangen«, rief Tim in Erinnerung.
»Ich würde trotzdem zurückreisen.«
Die Kellnerin fragte, ob sie noch etwas wollten, und Tim ließ die Rechnung kommen.
Noch immer war niemand aus dem weißen Chevy gestiegen. Auf der Straße herrschte kaum noch Verkehr. Die Wolken hatten den Mond völlig verdeckt.
Als die Kellnerin die Rechnung brachte, hatte Tim bereits das Geld in der Hand.
»In der Gasse gehst du nach rechts«, wiederholte er seine Anweisungen. »Lauf bis zur nächsten Straßenecke und warte dort auf mich.«
Sie standen auf. Linda legte ihm die Hand auf den Arm, und einen Augenblick dachte er, sie würde ihm einen Kuss auf die Wange geben, doch dann wandte sie sich ab.
Unter seinem Hosenbund spürte er die Waffe kalt an seinem Bauch.
12
Als Timothy Carrier die Glastür aufdrückte und aus dem Café trat, hatte er das Gefühl, alle Luft sei aus der Nacht gewichen und habe ein Vakuum hinterlassen, in dem er nicht atmen konnte.
Die an der Straße stehenden Königinpalmen, die sich rauschend und knisternd im böigen Wind wiegten, widersprachen diesem Eindruck vehement.
Nachdem auf einen flachen Atemzug ein tiefer gefolgt war, hatte Tim sich wieder gefangen. Er war bereit.
Seine vorübergehende Lähmung war nicht von der Angst vor Kravet verursacht worden. Er scheute sich einfach vor dem, was ihn erwartete, wenn er mit dem Killer fertig war. Jahrelang war es ihm gelungen, unauffällig vor sich hin zu leben, doch das würde diesmal wohl nicht klappen.
Mit gespielter Lässigkeit ging er direkt auf seinen Wagen zu, ohne irgendwelches Interesse an dem ein gutes Stück weit entfernten Chevy zu zeigen. Erst als er am Steuer
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