Blutwahn - Der Schrecken am See
Fischsterben haben Sie ja gelesen, das liegt sicher an der Schwefelbakterienschicht. Genauso wie einige Tauchunfälle. Als Kind jedoch hörte ich in einigen Nächten Hilfeschreie vom Ufer des Sees. Und nicht nur ich, andere auch. Damals verschwanden auch einige Menschen und wurden nie wieder gesehen. Aber das ist über 40 Jahre her.“ Philipp und Jana lauschten ihr gebannt.
„Na ja meine Mutter erzählte mir, sie hätte als Kind mit eigenen Augen gesehen, wie eine Lastwagenkolonne der Nazis in Richtung Alatsee rollte. Es heißt, sie hätten Gold der Deutschen Reichsbank von Schloss Neuschwanstein dorthin gebracht. Aber vielleicht haben sie einfach nur Materialien transportiert, die sie gebraucht haben. Denn fest steht ja, dass die Nazis während des Zweiten Weltkriegs Unterwasserversuche mit Flugzeugen im See gemacht haben. Damals war das hier auch alles militärisches Sperrgebiet.“
„Und was hat es mit den komisch verformten Bäumen am Ufer des Sees auf sich?“, fragte Philipp.
„Ach, das liegt an der Lage des Sees in einem Talkessel. Dadurch ergeben sich wohl oft starke Windströmungen, die zu den sonderbaren Verwachsungen an den Bäumen führen.“
„Achso. Klingt auf jeden Fall alles spannend“, meinte Philipp.
„Ja, das ist es. Sicher kommen auch einige hierher, da sie hoffen vielleicht doch noch das große Gold zu finden. Vielleicht finden Sie ja einen Goldschatz, wer weiß?“
„Ach wir haben uns, das ist mehr wert als alles Gold“, sagte Jana lächelnd und gab Philipp einen Kuss auf die Wange.
„Da haben Sie sicher recht“, erwiderte die Frau und schmunzelte. „So ich werde mich mal wieder auf den Heimweg machen. Ein Gewitter liegt in der Luft und es ist ja spät genug. Genießen Sie Ihren Urlaub und wenn was ist, rufen Sie einfach an oder kommen Sie vorbei. Die Nummer haben Sie ja und mein Haus ist das nächste die Straße hoch.“
„Vielen Dank“, sagte Jana und lächelte. Sie fand die Frau wirklich sehr nett.
„Wenn was ist werden wir uns melden. Schönen Abend noch.“
„Ihnen auch und gute Nacht.“
„Gute Nacht“, sagten Philipp und Jana nahezu gleichzeitig und schlossen die Tür, während es zu regnen begann und ein erneuter Blitz über den Himmel zuckte.
9
Karin Moorkamp hörte den Kies unter ihren braunen Sandalen knirschen, als die ersten vereinzelten Tropfen des Gewitterregens ihre Haut berührten. Sie trat auf die, von weit auseinander stehenden Laternen schwach beleuchtete, Straße, als ein lautes Donnern am Himmel ertönte und der Wind auffrischte. Die Büsche und die Blätter der Bäume raschelten. Gleich würde sie sich erst mal in die Badewanne legen – es war ein langer und arbeitsintensiver Tag gewesen. Das junge Pärchen war wirklich sehr nett, fand sie. Da hatte sie schon wesentlich unangenehmere Gäste gehabt. Der Mann schien eher ruhig zu sein, hatte aber eine freundliche Ausstrahlung und die Frau wirkte lebhaft und war sehr hübsch, selbst mit diesem grünen Handtuch auf dem Kopf. Das Gespräch mit ihnen hatte sie zum Nachdenken gebracht. Das Ferienhaus war wirklich ständig ausgebucht und sie überlegte, ob sie es überhaupt noch nötig hatte, sich in dem Restaurant so abzuschuften. Vielleicht war es an der Zeit, den Job dort an den Nagel zu hängen. Sie könnte ja auch einfach die Preise für das Ferienhaus etwas anheben. Das würde die Leute bestimmt nicht davon abhalten, herzukommen. Sie befanden sich hier schließlich in einer sehr gefragten Ferienregion. An das ganze mystische Gerede glaubte sie nicht – alles war logisch zu erklären und bei den Hilfeschreien, die sie vor etlichen Jahren mal hörte, hatte sie ein bisschen übertrieben. Während einer einzigen Nacht hörte sie mal einige Schreie, aber das kam schließlich tagtäglich an tausenden Orten auf der Welt vor und lag bestimmt nicht an dem See. Was ihre Mutter erzählt hatte stimmte sicherlich, aber das war lange her und der Rest gehörte für sie in die Welt der Sagen und Märchen. Es war allerdings ganz gut fürs Geschäft dazu beizutragen, die geheimnisvolle Aura des Sees aufrecht zu erhalten, fand sie. Natürlich kam es auch immer auf die Leute an. Neulich, als dieses ältere Ehepaar zu Gast war, und die alte Dame mit dem Gehstock sie ängstlich fragte, ob hier wirklich öfter Menschen verschwinden würden, war es eher klug dies mit beruhigender Stimme abzustreiten. Aber bei so jungen Leuten war das nicht nötig – die glaubten ja selbst nicht wirklich daran und freuten sich,
Weitere Kostenlose Bücher