Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Melander
Vom Netzwerk:
Wattebett. Es wies ein gezacktes Loch über der Pupille auf, halb in der Iris, dort fehlte die letzte Glasscherbe. Feine Striche in dem milchigen Glas verrieten die Bruchlinien.
    Professor Lau griff wieder nach der Schachtel.
    »Darf ich?«
    Sanne nickte. Mit großer Vorsicht nahm er das grüne Glasauge heraus und steckte die hohle Rückseite auf seinen rechten Zeigefinger. »Woher stammt das?«
    »Die Kriminaltechnische Abteilung hat es aus Resten zusammengesetzt, die wir vor drei Tagen neben einer weiblichen Leiche fanden.«
    Professor Lau nahm die Information regungslos auf. Dann schob er seine Brille auf die Stirn, drehte und wendete das Glasauge, studierte sorgfältig die hohle Rückseite und die Übergänge von Pupille zu Iris und von der Iris zu den weißen Flächen, die sie umgaben. Schließlich legte er das Glasauge zurück in die Schachtel.
    »Tja. Sie stammen nicht aus den in Serie hergestellten Kollektionen, die Optiker verkaufen.«
    Sanne nickte.
    »Das wissen wir.«
    Professor Lau blinzelte ihr zu.
    »Auf der anderen Seite ist es keinesfalls von der Qualität, die wir normalerweise zu sehen bekommen. Ich weigere mich zu glauben, dass jemand von den Okularisten, die hierzulande arbeiten, seinen Namen daruntersetzen würde.«
    »Okularisten?« Allan beugte sich in seinem Stuhl vor.
    »Kunsthandwerker, die Augenprothesen herstellen. Glasaugen werden mit dem Mund geblasen. Soweit ich weiß, arbeiten wir hierzulande nur mit Deutschen zusammen.«
    »Entschuldigung.« Sanne öffnete und schloss ihre Tasche, stützte die Ellenbogen neben der Schachtel auf. »Soll das heißen, dass es in Dänemark niemanden gibt, der so etwas herstellt?«
    »Wie gesagt, Augenprothesen aus Serienproduktion werden von den meisten größeren Optikern verkauft.« Der Professor lächelte, zog die Schachtel zu sich heran, außerhalb der Reichweite von Sannes Ellenbogen. »Aber wenn man Qualität will, führt kein Weg an einem Okularisten vorbei. Ein Glasauge hält zwischen anderthalb und zwei Jahren. Dann braucht man ein neues. Das alte nutzt sich ab, die Muskulatur um das Auge, sogar die Augenhöhle, verändert sich mit der Zeit. Die Okularisten kommen ein paarmal im Jahr nach Dänemark und stellen neue Prothesen für ihre festen Kunden her. Entweder in den Krankenhäusern oder bei bestimmten Optikern.«
    Sanne steckte die Schachtel wieder ein.
    »Und Sie arbeiten auch mit einem deutschen … Okularisten zusammen?«
    Der Professor nickte.
    »Dr. Henkel aus Mülheim. Schade, er ist vor kurzem erst hier gewesen. Jetzt müssen Sie sich mit seiner Telefonnummer begnügen.«
    »Ein Deutscher.« Allan setzte sich auf den Fahrersitz, drehte den Zündschlüssel.
    »Das übernehme ich. Ich bin in Südjütland aufgewachsen.« Sanne schloss die Tür und legte den Sicherheitsgurt an. »Die Sesamstraße habe ich geliebt.«
    Allan lachte. Sie waren auf dem Ringvej, als Sanne eine Verbindung bekam.
    »Hallo?«
    »Ja, hallo. Sanne Bissen, dänische Polizei.«
    Sie erklärte Dr. Henkel die Situation, bekam seine E -Mail-Adresse und schickte ihm eine Serie schneller Handyfotos der Prothese. Dr. Henkel rief zurück, noch bevor sie das Präsidium erreicht hatten.
    »Ich würde Ihnen gerne helfen, Frau Bissen, aber ich kann Ihnen garantieren, dass weder ich noch einer meiner deutschen Kollegen diese Glasprothese produziert hat. Keiner von uns würde seinen Namen für eine so minderwertige Qualität hergeben.«
    »Das war eine Niete.«
    Allan knirschte mit den Zähnen und konnte gerade noch bremsen, als ein Bus der Linie 5A, ohne zu blinken, aus der Haltestelle am Hauptbahnhof abbog.
    »Dann sind wir wieder bei Ukë und Meriton.«
    Sanne ließ ihr Handy in die Tasche fallen.
    »Aber irgendjemand muss dieses Glasauge angefertigt haben.«

22
    »Sie sind jetzt all yours .« Søren zog die Lederjacke an und schlug den Kragen hoch. Trotz seiner gedrungenen und breiten Statur verhalf ihm die Hornbrille zu dem Gesicht eines Intellektuellen.
    »Ist irgendetwas vorgefallen?« Allan stellte seinen Pizzakarton auf den Tisch. Kasper, ein kleiner, dünner Mann in einem erstaunlich frisch gebügelten Hemd und einer Hose mit Bügelfalte, drückte den Kaffeebecher zusammen und warf ihn in einen Pappkarton in der Ecke. Er quoll über. Sanne stellte ihre Chinabox und die Schachtel mit den Frühlingsrollen neben Allans Pizza.
    »Ihre Leute kommen ungefähr alle vier Stunden und liefern das Geld der Mädchen ab.« Kasper nahm seinen Mantel von der Stuhllehne. »Die Zeiten

Weitere Kostenlose Bücher