Blutwind
Telefon. »Was machst du da?«
»Facebook … ich will nur …« Sie verstummte. Der sanfte Musikstrom aus dem Radio lief weiter. Motorenlärm, das Rumpeln der Reifen. Sie legte ihr Handy beiseite, starrte in die Luft.
»Etwas nicht in Ordnung?«
Sie steckte das Handy wieder ein und wandte den Blick ab.
»Eine Nachricht von einer meiner alten Kolleginnen aus Kolding. Sie fragt, ob ich dich kenne … und was hier los ist …«
Lars’ Schultern wurden plötzlich schwer.
»Es ist nicht schwer zu erraten, woher diese Geschichte kommt.«
Sie hatten den Hans Knudsens Plads erreicht, als Sannes Telefon klingelte. Es war Allan, er war aufgeregt, allerdings gingen die Worte im Lärm des Straßenverkehrs unter.
»Was ist?«, erkundigte sich Lars, als sie das Gespräch beendet hatte. Sanne biss sich in die Knöchel, schaute aus dem Fenster.
»Elvir Seferi. Einer von denen, die den Bukoshi-Brüdern ein Alibi gegeben haben … es hat sich als falsch herausgestellt. Allan hat ihn überprüft.«
Lars schaltete und fuhr über die Kreuzung am Vibenhus Runddel.
»Im Februar hat es einen Einbruch in einer Zahnklinik in Valby gegeben«, fuhr Sanne fort. »Es gab einen einzigen Verdächtigen.«
»Elvir Se…?«
»…feri, ja. Bei dem Einbruch wurden mehrere Liter Glutaraldehyd gestohlen. Zahnärzte benutzen es offenbar, um damit ihre Instrumente zu reinigen.«
»Wurde er verurteilt?«
»Nein, Meriton Bukoshi hat ihm ein Alibi gegeben, und es gab keine handfesten Beweise. Außerdem …«
Sanne strich sich das Haar hinters Ohr.
»Allan hat auch herausgefunden, wovon Elvir lebte, bevor er flüchtete … aus dem Kosovo, meine ich.«
Lars sagte nichts, wartete auf die Fortsetzung.
»Er war Tierarzt.«
42
Maria hatte die Hand an der Gartenpforte. Es war ein lauer Abend, und sie begann unter den Achseln zu schwitzen in ihrem dünnen Cardigan. Oder war es die Vorstellung, dass sie Christians Eltern kennenlernen sollte? Die Abendsonne zog goldene Streifen über den blassblauen Himmel. In der Brise, die vom Øresund herüberwehte, lag ein beinahe unmerklicher Duft von Salz.
Christian hatte sie mehrere Tage bedrängt, sie seinen Eltern vorstellen zu dürfen, es war fast schon peinlich, wie sie sich geziert hatte. Es ging viel zu schnell. Sie war sich doch selbst noch überhaupt nicht im Klaren, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Wahrscheinlich hatte sie auch deshalb so sauer reagiert, als er mit ihrem Vater zu Hause im Wohnzimmer saß.
Die Luft war schwer vom Flieder. Maria legte den Kopf zurück und sog den Blumenduft ein, der sich mit frisch gemähtem Gras und hellen Nächten vermischte. Das Blut rauschte, der Körper bebte. In ihrem Bauch gluckerte es. Es war schon ein bisschen aufregend. Sie fuhr sich durchs Haar, schluckte und drückte die Klinke der Gartenpforte hinunter.
Christians Eltern wohnten in einem gewaltigen Kasten, größer als Ulriks. Eine im Stil des Funktionalismus gebaute rote Backsteinvilla, bedeckt von hellgrünem Efeu. Am Giebel wuchsen tiefrote Blumen. Ole Olsens Allé, einen Steinwurf vom Gentofte Hospital entfernt.
Eine Gestalt bewegte sich hinter einem der enormen Fenster des Hauses, etwas Gespenstisches, das sich in dem Moment zurückzog, als sie es bemerkte. Maria schwitzte. Der kleine Strauß in ihrer Hand, ein Gastgeschenk für Christians Mutter, sah plötzlich so erbärmlich aus.
Christian öffnete die Tür, bevor sie die Klingel drücken konnte. Er sah gut aus. Wie gewöhnlich. Enge Jeans, lockeres weißes Hemd. Das Haar nachlässig zerwühlt. Er zwinkerte ihr zu und zog sie hinein. Küsste sie intensiv.
»Mutter, Vater, Maria ist gekommen.«
Sie wurde knallrot. Der Magen wollte keine Ruhe geben. Sie zog ihn am Hemd, damit er aufhörte. Aber er lachte nur, streifte mit den Lippen ihre Wangen und legte einen Arm um sie. Im ersten Stock waren Schritte zu hören.
»Willkommen.« Die Stimme seiner Mutter war nicht mehr als ein Flüstern, so dünn wie die graue Strickjacke über ihrer Schulter. Das Kinn berührte beinahe den obersten, geschlossenen Knopf. Sie knetete sich nervös die Hände, bevor sie die Rechte ausstreckte.
Maria ergriff sie. Das trockene, blasse Echo eines Händedrucks.
»Das ist Margit, meine Mutter.« Hinter ihrem Rücken legte er Maria eine Hand auf den Hintern. Die Berührung versetzte ihr einen elektrischen Schlag.
»Danke für die Einladung.« Sie reichte Christians Mutter den Strauß, biss sich auf die Lippe. Ein kleines Lächeln zog sich über
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