Blutzeichen
Feststellung, dass sie beide niemanden kannten, den die Arbeit wirklich voll und ganz ausfüllte. Schließlich hatten sie sich darauf verständigt, dass es eine solche Arbeit bestimmt irgendwo gab, doch dass die Suche danach der einer Stecknadel im Heuhaufen glich und die meisten daher lieber Mittelmäßigkeit und latente Unzufriedenheit während des Arbeitslebens in Kauf nahmen.
Gegen Ende ihres Mahls, als sie Melonenkugeln und Erdbeeren in einen Topf mit flüssiger Schokolade getaucht hatten, war das Gespräch langsam intimer geworden. Sie waren näher zusammengerückt, hatten immer tiefere Blicke ausgetauscht und die idyllischen Momente ihrer Kindheit miteinander verglichen.
Beth wusste, dass Todd seit kurzem geschieden war. Ihm war durchaus bekannt, dass es zwischen dem Verschwinden ihres Mannes vor sieben Jahren und Andrew Thomas einen mysteriösen Zusammenhang gab. Noch kam niemand dem Ballast, den sie beide mit sich herumschleppten, zu nahe.
Nach dem Essen brachte Todd sie nach Hause. Es war elf Uhr, und während sie die leere I-77 nach Norden entlangfuhren, betrachtete Beth das faszinierende Muster des Straßenbelags im Scheinwerferlicht. Es war ein befremdliches Gefühl, zugleich erschreckend und belebend, neben Todd im Auto zu sitzen. Wie der Beginn eines neuen Collegejahres im Herbst. Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr wie eine achtunddreißigjährige, allein stehende Mutter zweier Kinder.
Sie war drauf und dran, seine Hand zu ergreifen.
Sie wollte es.
Hätte er seine Hand auf die ihre gelegt, sie hätte ihre Hand nicht weggezogen.
Doch der Teil von ihr, der elf Jahre lang mit einem anderen Mann gelebt, seine Kinder zur Welt gebracht und schließlich seinen furchtbaren Verlust durchlebt hatte, sträubte sich. Daher presste sie, zum Teil aus Angst, vor allem jedoch aus Respekt, ihre Hände flach gegen die schwarze, weiche, neu erworbene Damenhandtasche und dachte: Nächstes Mal vielleicht, aber nicht heute Abend, Walter.
Nun war Beth aus dem Bett aufgestanden, die Treppe hinuntergegangen und stand in der Küche an der Spüle. Sie blickte durch das Fenster auf das schwarze Wasser des Lake Norman und auf den sanft scheinenden Mond, der wie eine elfenbeinfarbene Sonne hoch am schwarzblauen Himmel stand.
Der See war nicht mehr ganz ruhig und glatt, ein leichter Wind kräuselte die Oberfläche und zerstörte das Spiegelbild des Mondes. Beth konnte hören, wie der Wind in den Blättern spielte, und sah, wie sie spiralförmig von den schlafenden Bäumen hinab ins bereifte Gras flogen.
Nebenan hatte die Schaukel der Worthingtons begonnen, sich hin- und herzubewegen – ein launischer Geist beschwor zu dieser frühen Morgenstunde einen Spuk aus der Kindheit herauf.
Die Ofenuhr zeigte 1:39 an.
Sie nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und füllte es mit Mineralwasser aus der Flasche. Nach dem wunderbaren Shiraz zum Abendessen war ihre Kehle ausgetrocknet und sie trank das Glas in einem Schluck leer.
Anstatt zurück ins Bett zu gehen, durchquerte Beth das Esszimmer und rollte sich auf dem Wohnzimmersofa unter einer Wolldecke zusammen. Sie war kein bisschen müde, machte sich aber beunruhigt klar, dass es inzwischen Montag war und sie in sechs Stunden zur Arbeit musste.
Durch die Flügeltüren, die zur Holzterrasse führten, strömte Mondlicht herein, die Schatten der Adirondack-Gartenstühle wurden immer länger, je weiter der Mond über den Himmel zog.
Sie trug den alten Satinpyjama, den Walter ihr vor Jahren zum Valentinstag geschenkt hatte. Da sie unten kein Licht eingeschaltet hatte, sah sie aufgrund der statischen Aufladung beim Zusammendrücken des Stoffes kleine blaue Funken über den Satin tanzen.
Sie dachte an Walter. Schon lange war er in ihren Gedanken nicht mehr so lebendig gewesen wie jetzt. Sie hegte für ihn weder traurige noch nostalgische Gefühle, noch nicht einmal Liebe. Es war ein Gefühl, das sie nicht benennen konnte. Sie dachte an ihn als Licht und Zeit und Energie – ein Wesen, das ihre irdische Seele nicht verstehen konnte. Wachte er jetzt über sie?, fragte sie sich. Aus einer unergründlichen Dimension? Sie hatte die angenehme Ahnung, dass sich ihre Seelen in dem Raum zwischen den Sternen wiedertreffen würden. Ihre Wesenheiten würden im Licht verschmelzen und zu einer einzigen strahlenden Einheit werden. Das war ihr Leben nach dem Tod, sie würde in einer nicht greifbaren Form wieder mit ihm zusammen sein.
Beth hörte im oberen Stockwerk die Schritte eines ihrer
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