Blutzeichen
er immer noch auf die farbige Karte schaut, weiß er genau, was er will.
»Vanilla Coke. Würstchen. Speck. Maisgrütze. Rührei. Ein Stapel Pfannkuchen. Und extra Ahornsirup. Ich brauch mehr Ahornsirup, als hier im Spender ist.«
Die Kellnerin kichert. »Wir haben keine Pfannkuchen.«
Luther schaut von der Karte auf.
»Soll das ein Witz sein?«
»Tja, das hier ist ein Waffel restaurant. Bei uns gibt es Waffeln.«
Luther bekommt gar nicht mit, dass die Kellnerin nett ist, ja beinah mit ihm flirtet. Er fühlt sich nur gedemütigt. Die Kellnerin ist jung. Hochschwanger. Er denkt, dass sie ganz hübsch sein könnte, wenn ihre Zähne nicht so schlecht wären. Auf ihrem Namensschild steht Brianna.
»Ich hasse Waffeln, Brianna.«
»Nun, es gibt ja noch mehr Auswahl, Schätzchen. Ich selbst ess am liebsten die Hashbrowns. So was Leckeres wie das Hashbrown-Spezial hast du noch nie gegessen.«
»Na gut.«
»Willst du es probieren?«
»Na ja.«
»Und möchtest du trotzdem noch das ganze andere Zeugs?«
»Ja.«
Als die Kellnerin Brianna weg ist, lehnt sich Luther in der Sitznische mit den orangefarbenen Kissen zurück. Er versucht, nicht weiter darüber nachzusinnen, wie fürchterlich enttäuscht er ist, dass es im Waffelhaus keine Pfannkuchen gibt. Wie hatte ihm das entgehen können? Die Kellnerin hält ihn jetzt vermutlich für blöd. Vielleicht sollte sie den anderen im Kofferraum Gesellschaft leisten.
Die Wände sind mit Plakaten gepflastert. Während er auf seine Cola wartet, liest er sie:
Eier mit Käse: eine Waffelhausspezialität,
Sie hatten die Wahl. Sie haben uns gewählt. Danke.
Berts Chili: Das gibt’s nur hier.
Der beste Kaffee Amerikas.
Als das Essen kommt, flimmern die ersten Anzeichen der Morgendämmerung über den mit Sternen bedeckten Himmel.
»Sag mir hinterher, wie dir die Hashbrowns geschmeckt haben«, meint Brianna.
»Pfannkuchen, das war ein guter Witz.«
Das Hashbrown-Spezial lässt sich mit nichts vergleichen, was Luther je gegessen hat. Die geriebenen und in der Pfanne gebratenen Kartoffeln sind bedeckt mit geschmolzenem Käse, Zwiebeln, geräuchertem Schinken, Bert’s Chili, Tomatenwürfeln und Jalapeno-Chiliringen. Es schmeckt ihm noch besser als Pfannkuchen, und als Brianna ihm ein zweites Glas Vanilla Coke bringt, bedankt er sich für die Empfehlung. Inzwischen schämt er sich nicht mehr dafür, in einem Waffelhaus nach Pfannkuchen gefragt zu haben.
Luther trinkt seine Cola, genießt den kurzen Frieden und beobachtet durch die mit zahllosen Fingerabdrücken verschmutzte Scheibe, wie der Himmel zu neuem Leben erwacht.
Es läuft alles wie am Schnürchen.
Das Kidnappen von Karen Prescott und Elizabeth Lancing musste doch einfach Andrews Aufmerksamkeit erregen, egal wo er sich aufhielt.
Als Luther gerade gehen will, bemerkt er zwei Tische weiter einen fünfundsechzig- bis siebzigjährigen Mann. Sein fahles Gesicht ist mit weißen Bartstoppeln übersät, die Augen sind blutunterlaufen, die Lider schlaff, sein abwesender Blick ist zum Fenster gerichtet, in der Hand hält er eine brennende Zigarette.
Draußen parkt ein großer LKW, und Luther schließt von dem Namen eines Speditionsunternehmens auf der Mütze des Mannes sowie aus dessen ungepflegtem Äußeren, dass er der dazugehörige LKW-Fahrer ist.
Er spürt die Einsamkeit des Mannes.
»Guten Morgen«, grüßt Luther.
Der Fahrer wendet sich vom Fenster ab.
»Morgen.«
»Ist das Ihr Truck da draußen?«
»Klar.«
»Wohin geht die Fahrt?«
»Memphis.«
»Was haben Sie geladen?«
»Zucker.«
Der alte Mann zieht an seiner Zigarette und drückt sie anschließend in einem noch unberührten Eigelb aus.
»Ganz schön einsam auf der Straße, was?«, fragt Luther.
»Kann man wohl sagen.«
Er ist nicht sauer über die knappen Antworten des Mannes, sie sind nicht Ausdruck von Unhöflichkeit, sondern von einer verkrachten Existenz. Hätte er mehr zu sagen, würde er es tun.
Luther steht auf, zieht den Reißverschluss seines Sweatshirts hoch und nickt dem Fernfahrer zum Abschied zu.
Der Mann prostet Luther mit dem Kaffeebecher zu, bevor er einen Schluck trinkt.
An der Kasse bezahlt Luther sein Frühstück und gibt der Kellnerin Brianna obendrein einen Zehndollarschein.
»Sehen Sie den alten Mann dort allein in seiner Sitzecke? Ich zahl ihm sein Frühstück.«
Luther schlendert zur Tür hinaus, um den Sonnenaufgang zu betrachten.
15. Kapitel
Als Luther den Parkplatz verlässt, kann er kaum noch die Augen
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