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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Cherokee.
    Da ein Schwarm schnatternder Möwen dem Schiff folgte, schlenderte sie zurück zum Heck, öffnete den Verschluss der Plastiktüte und brach ein Stück Brot ab, während Kai und Holzpfosten im Kielwasser verschwanden. Genau in dem Moment, als sie den Arm ausstreckte, stieß eine dicke Möwe zu ihr herab und schnappte sich das Brotstück.
    Während sie die Möwen fütterte und beobachtete, wie die Küstenebene North Carolinas zu einem grünen Strich zusammenschrumpfte, dankte sie Gott für die Menschen, die sie liebte. Sie betete für Max, für ihre Eltern, für Stärke und schließlich für die Genesung des Sergeants.
    Nach dem Sieg der Langlaufmeisterschaft hatte Barry Mullins gestern Abend seinen Sohn Patrick zu einem Barbecue eingeladen. Heute Morgen lagen beide mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus, daher würde Vi die Kites alleine befragen.
    Ein kleiner Junge kam ans Heck und stellte sich neben sie. Sie bemerkte, wie er sie beobachtete, und fragte, ob er auch Möwen füttern wolle. Als er nickte, reichte sie ihm ein Stück Brot.
    »Halt es einfach so hoch. Sie kommen runter und holen es sich.«
    Der Junge hielt das ausgefranste Brotstück hoch und sog hörbar Luft ein, als eine Möwe es wegschnappte. Er schaute zu Vi auf und grinste. Sie gab ihm den Rest des Brotlaibes und ging zum Bug. Die Abenddämmerung setzte ein, und wenn sie in Richtung Westen schaute, konnte sie das Festland schon nicht mehr sehen. In östlicher Richtung erstreckte sich der Pamlico Sound bis zum unregelmäßig grauen Horizont, während von den davor liegenden Barrier-Inseln nichts zu erkennen war.
    Wieder musste sie an die Frau denken, die am Bodie-Island-Leuchtturm erhängt worden war. Dank eines geschmacklosen Fotos auf der Titelseite eines Sensationsblattes hatte sie das Bild schon den ganzen Tag verfolgt. Sie dachte darüber nach, ob ein Gebet für die Toten etwas bewirken konnte.
    Sie hielt sich an der Reling fest und starrte auf das unter dem Boot entlangrasende Wasser. Die Motorengeräusche, das Geschrei der Möwen und der salzige Geruch des Strandes überwältigten sie. In der Hoffnung, Gebete könnten rückwirkend helfen, schloss sie die Augen und betete zum fünften Mal an diesem Tag, dass die Frau nicht gelitten hatte.
    Die Sonne versank in der Meerenge.
    Vi sah auf die Uhr und bemerkte, dass sie nun schon über zwei Stunden auf dem Wasser war. Der Ort konnte nicht mehr weit entfernt sein. Als Himmel und Wasser die gleiche sonnenlose, schiefergraue Farbe angenommen hatten, stellte sie sich vor, dass Max oder sogar Sergeant Mullins hier neben ihr im leichten Gegenwind stehen würden. Sie hätte jetzt nichts gegen die gönnerhafte Behandlung des Sergeants einzuwenden und dachte: Bis die Sonne unterging, habe ich mich gut gehalten. Genau wie früher bei meinen Großeltern: Ich war zehn und abends im Dunkeln überkam mich das Heimweh, und ich bat Dad heulend am Telefon, mich heimzuholen, und er antwortete: Nein, mein Schatz, morgen wirst du dich besser fühlen.
    Im Osten blinkte ein Licht auf – der Leuchtturm von Ocracoke.
    Vi drehte sich um und ging zurück zum Jeep.
    In der Aktentasche auf dem Rücksitz waren Fotos, die sie sich einprägen musste – mit Bart, glatzköpfig, dick, hager, mit Schnurrbart, glatt rasiert –: die Gesichter von Luther Kite und Andrew Thomas.

30. Kapitel
     
    Eine der Stewardessen auf meinem Flug nach Charlotte kam aus North Carolina und ihr Südstaatenakzent rührte mich zu Tränen. Ich hatte diesen typischen schleppenden Südstaatenakzent schon seit Jahren nicht mehr gehört. Es ist überhaupt nicht das hinterwäldlerische Näseln, das Hollywood daraus gemacht hat, in Wirklichkeit klingt der North-Carolina-Dialekt sehr angenehm und unaufdringlich. Vor allem, wenn man ihn sieben Jahre nicht gehört hat, fühlt man sich, als käme man nach Hause.
    Nachdem mein Flugzeug kurz vor Mitternacht auf dem internationalen Flughafen Charlotte-Douglas gelandet war, fuhr ich gegen ein Uhr in der Nacht zum Dienstag in einem Audi mit Fünfganggetriebe in Richtung Norden und hatte dabei die I-77 ganz für mich allein. Ich dachte, wieder zu Hause zu sein, würde mich nostalgisch stimmen, stattdessen spürte ich auf der Fahrt durch die dunklen Kiefernwälder des Piedmont nur das Geschwür, das sich seit meinem Abschied von Haines Junction in meine Eingeweide gebrannt hatte.
    Ich verließ die Interstate über die Ausfahrt 28 und fuhr auf den vertrauten Landstraßen zum Norman-See, hier und da war

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