Blutzeichen
meinte Judy. »Großer Tag für die Blue Devils, was?«
»Na klar. Weißt du, Max ist – «
»Josh konnte gestern Nacht kaum schlafen. Weißt du, er hat bei dieser Meisterschaft heute richtig gute Chancen. Zumindest sagt mir das jeder. Ach, ich bin so aufgeregt für ihn. Ich hab das Gefühl, als ob ich laufen würde, verstehst du? Ist das nicht verrückt?«
»Es zehrt ganz schön an den Nerven, eine – «
»Ach Liebes, siehst du nicht bezaubernd aus in deinem Anzug?« Judy griff nach dem Ärmel von Violets schwarzem Blazer und rieb den schwarzen Wollstoff zwischen ihren Fingern. »Ist das die offizielle Dienstkleidung für Kriminalbeamte?«
»Oh, nein, es ist nur – «
»Dann erzähl mir mal, bist du nicht ganz außer dir, dass du jetzt Jagd auf Andrew Thomas machst? Ich meine, wer hätte schon gedacht, dass die kleine Violet King es mal mit diesem Monster zu tun haben würde? Du lieber Himmel, ich hab dich in der Sonntagsschule unterrichtet, und vielleicht wirst du jetzt berühmt, wenn das alles mal vorbei ist! Vergiss mich bloß nicht, wenn du dein Buch schreibst und den Film machst und das ganze – «
»Ich sehe das ein bisschen anders, Judy.«
»Und ich sehe dich jeden Abend in den Nachrichten. Ich meine, du sagst nie was oder so, aber sie zeigen dich immer vor dem Haus dieser armen Familie.« Judy zwinkerte und stieß Vi mit dem Ellbogen an. »Kannst du mir nicht ein paar Insiderinformationen geben? Ach, du weißt ja, ich mache nur Spaß! Du hast geglaubt, ich meine es ernst? Haha! Ich weiß, dass du keine Details aus dem Fall weitergeben darfst. Ich bin ja schließlich nicht naiv!«
Vi sah Barry Mullins auf sie zukommen. Sie wünschte, er würde schneller gehen.
»Judy, es tut mir Leid, ich muss – «
»Und Max ist so gut mit den Jungs. Josh hat mir neulich erzählt, dass ihm ›Coach King‹ so viel lieber sei als der Blödmann vom letzten Jahr. Ich meine – «
»Hallo, Ladys!«, donnerte Mullins los. Es war das erste Mal, dass Vi erleichtert war, ihren Boss zu sehen. »Tut mir Leid, wenn ich in euere Unterhaltung hineinplatze, aber ich muss mit Violet unter vier Augen sprechen, Judy.«
»Ähm, na ja. Habt wohl eine Geheimberatung wegen der großen Sache.«
Sergeant Mullins lächelte nur und auch Vi lächelte und Judys Lächeln verwandelte sich in Gekränktheit.
Sie trottete in Richtung Zeitnehmerhäuschen davon.
»Komm, gehen Sie ein Stückchen mit mir, Viking.«
Der Sergeant und seine Ermittlerin schlenderten über den Rasen hinter der Startlinie. Die führenden Läuferinnen des Mädchenlaufs hatten die erste Meile hinter sich, und Vi hörte zu, als jemand die Durchschnittszeiten jeder Läuferin verlas.
In väterlicher Manier ergriff Sergeant Mullins ihren Oberarm.
»Ich habe gerade mit Bradley geredet«, sagte er. »Wir haben auf dem Ding Fingerabdrücke gefunden, die in unserer Datei sind.«
»Sie machen Witze, oder?«
»Sie gehören einem gewissen Luther Kite. Männlich, weiße Hautfarbe, zweiunddreißig Jahre alt. Letzte bekannte Adresse ist sein Elternhaus: Dreizehn, Kill Devil Road, Ocracoke, North Carolina. Schon mal auf Ocracoke gewesen?«
»Nein, Sir.«
»Nun, dann werden wir da morgen mal hinfahren.«
»Wir?«
»Ja, Ma’am.«
»Ich werde einen Durchsuchungsbefehl rausschlagen. Ich meine, allein mit den Fingerabdrücken haben wir ausreichende Verdachtsgründe. Und dann zeigen wir Jenna und David Lancing das Foto aus der Fingerabdruckdatenbank, vielleicht können sie ihn identifizieren. Das würde die ganze Sache untermauern.«
»Ganz ruhig, Viking. Wir wollen erst mal nur mit den Eltern reden. Nach allem, was wir wissen, haben sie ihren Sohn seit Jahren nicht gesehen. Das Letzte, was wir brauchen können, ist ein Spurensicherungsteam, das dort reinplatzt und das ganze Haus auf den Kopf stellt. Danach kriegst du garantiert keine Unterstützung mehr von denen.«
Sie gingen weiter. Vi lächelte den geröteten Gesichtern der High-School-Mädchen zu, die gerade vorbeirannten.
»Gute Leistung«, sagte sie zu einer Mooresville-Läuferin namens Holly.
»Also, wie halten Sie sich aufrecht, Vi?«, fragte Sergeant Mullins. Das überraschte sie. Der Sergeant hatte noch nie auch nur einen Anflug von Besorgnis durchschimmern lassen. In den zweieinhalb Jahren, in denen sie für das Morddezernat arbeitete, hatte sie immer nur seine harte Schale erlebt. Seine mitfühlende Frage rührte sie. Sie blieb stehen und schaute ihn an.
»Mir geht es gut, Sir. Danke für die Nachfrage.«
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