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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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nicht Gewissheit hab.
    Gib mir das Licht.«
     
    »Du brauchst das Licht nicht.«
     
    Sie schob sich an ihm vorbei und nahm es selbst.
     
    »Du, folg mir nicht«, sprach sie. »Das gilt nur mir.
    Wenn jetzt die Zeit gekommen ist,
    Dann ist’s an mir, die Sache klarzustelln.
    Er wird’s nicht wagen – «
    »Hör, hör doch!« Er trat auf einen Stein.
    »Er kommt hierher. Joel, so bitte geh – «
     
    – Robert Frost, Die Angst

31. Kapitel
     
    Am Mittwochmorgen um sechs Uhr kauerte Violet im zweiten Stock des Harper Castle Bed & Breakfast über der Toilette ihres Zimmers und wartete darauf, dass die Übelkeit vorüberging. Nach einer Viertelstunde Brechreiz, ohne sich übergeben zu müssen, wankte sie zurück ins Bett und schlief bis zehn Uhr.
    Als sie wieder erwachte, fühlte sie sich viel besser. Sie drehte sich auf die linke Seite und schaute aus dem Fenster auf die Bucht, um die herum die Ortschaft Ocracoke gebaut worden war. In der windstillen, bewölkten Melancholie des Morgens wirkte Silver Lake Harbor unnatürlich ruhig.
    Während Vi die schwarze Strumpfhose hochzog, bemerkte sie das fröhliche Inseldekor des winzigen Zimmers – das Pastellgemälde eines fünfmastigen Schoners auf rauer See über dem Kopfteil des Bettes, die korallenrote Tapete mit einem Muster aus kleinen, sandfarbenen Talern. Max würde es hier lieben, dachte sie, während sie einen kleinen Kassettenrekorder in ihre Handtasche steckte und ihr Schulterholster befestigte, in dem eine .45er Smith & Wesson mit zweireihigem Magazin steckte. Max hatte sie mit dem Schulterholster letzten Februar zum Valentinstag überrascht.
    Vi machte sich im Badezimmer zurecht, puderte ihre Wangen und rückte ein lila Wildlederhaarband zurecht, das zu ihrem Kostüm passte. Dann ergriff sie ihre Tasche und ging, angelockt von den Versprechungen eines üppigen Frühstücks, die Treppe nach unten durch das verwinkelte hölzerne »Schloss« über Eichenböden und an Wänden aus Zypressenholz entlang in den Frühstücksraum.
    Das Frühstücksbuffet sah schon ziemlich abgegrast aus. Sie nahm einen der letzten drei Muffins aus Weizenkleie und füllte sich ein Glas mit Preiselbeersaft. Bis auf den vor sich hin dösenden alten Mann (sein Mund weit geöffnet, den Ocracoke Observer noch in der Hand) war der Speisesaal leer.
    Vi setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Fensters, sodass sie auf den kleinen Hafen und eine Reihe weißlich grauer Stege blicken konnte. Am gegenüberliegenden Ufer bahnte sich die mit heimkehrenden Touristen beladene Swan-Quarter-Fähre auf dem Weg zum Festland gerade ihren Weg durch das schmale Küstengewässer hinein ins offene Wasser des Pamlico Sound.
    Vi schaute auf ihre Uhr: 10.50. Die Zeit, in der Max seine Vorbereitungen traf. Sie holte ihr Handy hervor und rief ihn an. Sie erreichte nur den Anrufbeantworter und hinterließ eine kurze Nachricht: »Hey, Baby. Wollte mich nur melden. Bereite mich gerade darauf vor, die Kites zu interviewen. Hoffe, du hast einen guten Tag. Ich ruf dich heute Abend wieder an. Ich liebe dich.«
    Von außen wirkte das Bed & Breakfast mit den Giebeldächern, dem asymmetrischen rechten Flügel und der auffälligen Fassade mit sieben Giebelfenstern kindlich und verspielt. Vi schaute aus ihrem Cherokee zu der Kuppel über dem dritten Stock auf und fragte sich, was eine Nacht in dieser Suite wohl kosten mochte. Vielleicht sollte sie Max überreden, hier mit ihr im nächsten Juni den Hochzeitstag zu feiern. Es gab so vieles, was sie sich gerne ansehen wollte – den Leuchtturm, den englischen Friedhof, die Inselponys, Portsmouth Island.
    Sie fuhr auf den Silver Lake Drive auf, die Straße, die den Hafen umrundete. Ein Reiseführer warnte vor den sommerlichen Verkehrsstaus in der Ortschaft, doch an diesem trüben Novembermorgen schien der Ort eher seinem Ruf als abgeschiedenster Außenposten der Küste North Carolinas alle Ehre zu machen.
    An der Ecke Silver Lake und Highway 12 verkaufte ein Mann Tritonshornmuscheln für fünf Dollar pro Stück von der Laderampe seines Lieferwagens. Normalerweise hätte Vi angehalten und eine gekauft, aber sie hatte jetzt schon ein schlechtes Gewissen, so lange geschlafen zu haben, schließlich erwartete Sergeant Mullins für heute Abend ihren Bericht.
    Obwohl die Insel an der breitesten Stelle höchstens anderthalb Meilen misst, brauchte Vi fünfunddreißig Minuten, bis sie den Briefkasten von Rufus und Maxine Kite am Ende der Sackgassen der Kill Devil Road gefunden hatte.

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