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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Sie konnte das Haus von dort noch nicht sehen, denn die private, überwucherte Zufahrt wand sich noch knapp hundert Meter durch hohe immergrüne Eichen hindurch.
    Während sie gemächlich die enge Zufahrt entlangfuhr, wischten die von den überhängenden Ästen herabhängenden Moosflechten über ihre Windschutzscheibe wie ein lebender Vorhang aus graugrünen Fäden. Obwohl das Haus nur zehn Minuten vom Hafen entfernt lag (der Touristenattraktion des Ortes), kam es ihr viel entfernter vor und schien in einem eigenen zeitlosen Universum zu existieren.
    Die Fahrt durch diese traurigen alten Bäume drückte auf Vis Gemüt. Dieses ungenutzte Land strahlte einen verschlafenen Südstaatenglanz aus, der bis in ihre Seele vordrang.
    Das Dickicht endete, und von der unbefestigten Straße aus sah man das Wasser, darüber den grauen Himmel und davor noch graueren, bröckligen Granit, aus dem das gewaltige Haus von Rufus und Maxine Kite gebaut war, eine unheimliche Behausung, die eher in eine trostlose englische Moorlandschaft gepasst hätte.
    Es gab keine Auffahrt. Wildes Dünengras hatte den Rasen überwuchert und zwei alte Eichen bewachten das Haus. Wie arthritische Finger reichten ihre knorrigen Äste beinah bis an das zerfallende Mauerwerk des zweiten Stocks heran.
    Zwischen den Bäumen führte ein einst gepflasterter, inzwischen längst von Wurzeln aufgebrochener Weg zur Haustür.
    Das zweistöckige Haus war aus Stein gebaut und wirkte, als hätte Gott einen gewaltigen Felsbrocken am Rand der Meerenge fallen lassen. Große Kamine wuchsen aus beiden Seiten heraus wie Hörner.
    Vi fand, dass dieses Bauwerk irgendeinem Monsterschädel ähnele, die gewaltigen Fenster wie Augenhöhlen, Pforten in die Finsternis.

32. Kapitel
     
    Vi parkte unter einer der Eichen neben dem einzigen anderen Fahrzeug auf dem Grundstück, einem verrosteten Dodge Pick-up, der gut sechzig Jahre auf dem Buckel hatte. Als sie den Pfad zur Haustür entlanglief, blickte sie hinauf zu den schwarzen Fenstern und der Kuppel.
    Das Haus strömte eine unheimliche Leere aus.
    Ein Anfall von Angst und Schuldbewusstsein überkam sie. Sie hatte Sergeant Mullins versprochen, sich bei der lokalen Polizei zu melden und die Kites nur in Begleitung des Sheriffs oder zumindest eines Deputys zu befragen. Aber das Letzte, was sie wollte, war, einem dieser Südostenjungs hinterherzulaufen und sich von ihm bevormunden zu lassen.
    Sie blieb vor der Tür stehen, beruhigte sich selbst, fuhr mit den Fingern durch ihre kurzen blonden Haare und klopfte.
    Hinter ihr huschte etwas durchs Gras.
    Als sie sich umdrehte, sah sie eine abgemagerte Katze auf die nächststehende Eiche flitzen. Sie ließ sich’ auf einen knorrigen Ast nieder und beobachtete sie mit großen, gelben Augen. Auf dem Parkplatz des Harper Castle B & B hatte sie schon eine herumschleichende Katze gesehen. Nach Aussage der Wirtin gab es auf Ocracoke jede Menge streunende Katzen.
    Als Vi sich wieder umdrehte, schrak sie zusammen.
    Die Tür war geöffnet worden, und auf der Schwelle stand ein großer, alter Mann, dessen gütiges Gesicht von Alter und Falten gezeichnet war. Er stand leicht gebückt und schaute aus tief liegenden, schwarzen Augen auf sie herab. Sein weißes Haar war lang und schütter.
    »Wer sind Sie?«, fragte er.
    Vi griff in ihre Tasche, holte ihre Polizeimarke heraus und hielt sie ihm so dicht vors Gesicht, dass er sie lesen konnte.
    »Sir, mein Name ist Violet King. Ich ermittle für das Davidson Police Department. Kann ich kurz mit Ihnen reden?«
    Rufus Kite blickte von der Marke auf und lächelte zahnlos.
    »Treten Sie ein, junge Dame.«
    Während Vi das Haus von Rufus und Maxine Kite betrat, griff sie unter ihre Barbourjacke und löste die Schnalle ihres Holsters.
    Nachdem Rufus die Haustür geschlossen hatte, brauchte Vi einen Moment, um sich an das schummrige Licht zu gewöhnen. Das Haus verströmte einen leicht modrigen Geruch – eine Mischung aus Alter, Nachlässigkeit, schimmeligem Holz und feuchtem Stein. Ihre Schuhe schleiften über staubigen Boden.
    Rufus half ihr aus der Jacke und hing sie über eine wackelige Garderobe neben der Tür. Dann führte er sie durch die düstere Eingangshalle ins Wohnzimmer und bot ihr einen Sessel neben dem gewaltigen, verloschenen Kamin an.
    Rufus ließ sich mühsam auf einem zerknautschten, ehemals goldenen Samtsofa nieder, dessen Bezug jedoch längst verschlissen und nun von fahler Flachsfarbe war. Durch hohe Fenster fiel schwaches, trübes Licht

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