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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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sie beobachtete mit stummem Entsetzen, wie es die Stufen erreichte.
    »Andrew!«, schrie sie.
    Das Ding mit den langen schwarzen Haaren schmiss die Hüttentür zu und verriegelte sie.
    Dann schaute es geradewegs zu ihr herüber.
    Vi fasste instinktiv nach der .45er, fühlte aber nur ihre knochige Hüfte.
    Noch bevor sie sich richtig hinstellen konnte, war der Schatten die Stufen hinuntergelaufen und rannte auf sie zu.
    Vi schrie auf, sprang auf die Füße und rannte ins Gehölz, ihr Keuchen lauter als die Schritte ihres Verfolgers.
    Sie rannte und rannte, schaute nicht zurück und erwartete jeden Moment eine Hand auf ihrer Schulter zu spüren, die sie zu Boden reißen würde.
    Das Eichenwäldchen wurde zum Dickicht. Sie verfing sich in einer abgestorbenen Kletterpflanze.
    Fiel hin.
    Ihre Brust hob und senkte sich nun gegen den Grund.
    Sie hörte, wie ihr Verfolger in einiger Entfernung durchs Dickicht brach.
    Dann nichts mehr.
    Sie hielt den Atem an.
    Stille.
    Sie lauschte angestrengt.
    Jetzt konnte sie deutlich das Geräusch eines schnellen Atems hören. Viel näher, als sie gedacht hatte.
    Sie betete, der Wald möge für ihn genauso dunkel sein wie für sie.
    Als sich ihr Herz beruhigt hatte, konnte sie nur noch das Klimpern ihrer Augenlider hören. Sonst nichts mehr.
    Ein Moment verstrich, dann raschelte es, als ginge jemand über trockenes Laub.
    Sie reckte sich, blickte zurück und sah den Schatten behutsam durchs Dickicht schleichen.
    Fünf Meter von ihr entfernt blieb er stehen, nichts als ein dürrer Busch zwischen ihnen.
    Vi fragte sich, ob er sie ausreichend versteckte.
    Das Ding ging auf den Busch zu und war jetzt so nah, dass sie meinte, es riechen zu können.
    Unter ihr gab das Unterholz nach und knackte dabei, wie ihr schien, ohrenbetäubend laut.
    Das Monster zuckte und strich sich das Haar über die Schultern.
    Es stand reglos da, scheinbar für Stunden.
    Lauschte.
    Dann drehte es sich abrupt um und ging zurück zur Hütte.
    Vi konnte sich nicht rühren, obwohl der Klang seiner Schritte sich kaum mehr vom Knacken und Plätschern der anderen nächtlichen Inselgeräusche unterschied.
    Sie wollte sich nicht von der Stelle bewegen. Nie mehr.
    Wenn ich mich bewege, hört er mich, kommt zurück, findet mich, tötet mich. Aber ich muss von dieser Insel runterkommen.
    Sie lag noch eine weitere Stunde in dem Dickicht und betete für die Kraft, aufzustehen und weiterzugehen.
     
    Vi hatte sich eine halbe Stunde durch den Wald gekämpft, als sie innehielt und sich ins Unterholz setzte. Sie schloss die Augen und zwickte sich in die Nasenwurzel, bemüht, ihren Adrenalinspiegel zu senken und ihre Panik in den Griff zu bekommen. Sie wollte auf die bloßen Fakten zurückkommen und von da aus weitersehen. So wie ein energischer Cop die Sache angehen würde.
    Sie holte ein paar Mal tief Luft, stand auf, ging weiter und verscheuchte den Gedanken, dass sie sich vielleicht noch meilenweit durchs Dickicht kämpfen musste.
    Passend zum bisherigen Tagesverlauf wurde die Lage immer schlimmer. Das Unterholz wurde so dicht, dass sie für jeden Schritt eine halbe Minute brauchte, immer wieder ihre Knöchel aus Lianen befreien und größeres Gehölz aus dem Weg räumen musste.
    Als sie sich aus einer der hartnäckigen Schlingpflanzen nicht richtig loswickelte, lag sie plötzlich mit dem Gesicht im Matsch.
    Sie stand nicht auf.
    Sie lag da und weinte, bis sie so erfüllt war von Wut und Tränen, dass sie dem »verfluchten, schrecklichen Tag« nicht länger erlaubte, sie zu umklammern. Denk nicht darüber nach. Es ist zu viel. Steh auf und erledige einfach deinen Job, Viking. Es könnte schlimmer sein. Viel schlimmer. Du könntest tot sein. Also. Steh. Auf.
    Sie kämpfte sich auf die Beine. Schleppte sich weiter. Verrückt. Schwach. Am Rand des Wahnsinns.
    Zehn Schritte weiter brach sie aus dem Dickicht. Aus der klaustrophobischen Enge der Pflanzenwelt in die Weite des Watts. In großer Entfernung blies der Wind über die Dünen und wehte salzigen Meergeruch herüber. Unheimliche schwarze Pflanzen erhoben sich aus dem alkalihaltigen Boden – außerirdische und dämonische aus Salz geformte Skulpturen, die wie Überbleibsel einer nuklearen Apokalypse wirkten.
    So weit sie sehen konnte, erstreckte sich das Watt von Norden nach Süden, und sie eilte darüber hinweg, ihre Stiefel versanken im Schlamm, der Wind kühlte sie ab, die Arme ruderten und sie schluckte reichlich Luft.
    Sie rannte und rannte.
    Der Mond, nur ein dünner

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