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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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woran ich mich erinnere, ist Dunkelheit und Stein. Welcher Tag ist heute?«
    »Donnerstag, der 6. November.«
    »Zehn Tage.«
    »Was bedeutet das?«
    »So lange bin ich von meinen Kindern getrennt.«
    Sie zitterte. Die Kerzenflamme zitterte.
    Wir saßen schweigend nebeneinander.
    Schließlich sagte sie: »Erzähl mir, wie er gestorben ist.«
    »Beth – «
    »Ich will es hören, Andy, und ich will es von dir hören. Aber reich mir bitte erst mal diesen Krug da vom Tisch. Er hat mich vorhin ein paar Schlucke trinken lassen, aber ich bin immer noch durstig.«
    Ich holte ihr den halb leeren Krug. Sie nahm einen großen Schluck und reichte ihn mir. Ich öffnete den Deckel und wir setzten uns in eine Ecke und tranken abwechselnd aus dem Krug.
    Das Wasser war kalt und leicht süßlich.
    Schließlich ließ ich mich darauf ein – und erzählte ihr von Orson und der Wüste und der Drohung, die er gegen ihre Familie und ihre Kinder ausgesprochen hatte. Ich erzählte Beth, wie Walter und ich losgezogen waren, Orson ausfindig gemacht und ihm in seinem Haus an jenem Freitag vor sieben Jahren aufgelauert hatten.
    Ich sagte: »Und dann sind wir mit meinem Bruder im Kofferraum aus der Stadt gefahren. Hatten am frühen Abend schon ein Loch für ihn gegraben. Wir zogen Orson aus dem Kofferraum und setzten ihn auf den Rücksitz. Wir mussten herausfinden, wo sich Luther aufhielt – der Mann, der dich jetzt entführt hat. Orson hatte ihn vor all den Jahren auf dich angesetzt. Als Orson zu sich kam, reizte er Walter, indem er ihm erzählte, was Luther dir und den Kindern antun würde. Walter wollte ihn auf der Stelle erschießen, Beth. Er verlor den Kopf. Aber ich wusste: Wenn wir von Orson nicht erfahren würden, wo sich Luther aufhielt, wäre es um dich und die Kinder geschehen gewesen. Keine Frage.«
    Ich schluckte. Es wurde immer kälter und Beths Augen blieben die ganze Zeit an meinem Gesicht haften. Selbst in dem spärlichen Licht schien sie mehr als sieben Jahre gealtert zu sein, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte.
    »Walter richtete die Waffe auf Orson. Ich hab ihm gesagt, er soll es lassen. Er wollte nicht hören. Er war wie von Sinnen. Es war das Blödste, was ich machen konnte, aber ich zielte mit meiner Waffe auf Walter. Erklärte ihm – Gott, ich erinnere mich noch so genau daran –: ›Wenn du ihn tötest, tötest du auch deine Familie.‹ Völlig unerwartet trat Orson von hinten gegen meinen Sitz, und meine Waffe ging los. Er war sofort tot, Beth. Das schwöre ich dir.«
    Sie schloss die Augen.
    Sie seufzte leise und schwieg.
    Das einzige Geräusch, das ich hören konnte, war der Wind, der in den Kiefern rauschte.
    Die Stille wurde bedrückend.
    Nach einer langen Weile flüsterte sie: »Hast du ihn beerdigt?«
    »Ich bring dich zu dem Ort, wenn wir hier rauskommen.«
    »Ich hasse dich, Andy«, sagte sie. Ihre Stimme war tränenerfüllt. »Weißt du, wie sehr ich dich hasse?«
    »Ja, das weiß ich.«
    Sie lehnte sich gegen mich und ich legte einen Arm um sie.
    Während sie still schluchzte, ging die Kerze aus und es wurde so dunkel in der Hütte, dass ich nur noch den pechschwarzen Himmel durchs Fenster sehen konnte.
    Eisiger Wind drang durch die Schlitze zwischen den Fußbodendielen nach oben.
    Ich wartete und hoffte, dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen würden, doch das taten sie nie.
    »Andy«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang merkwürdig und weit entfernt, so als riefe sie mich vom Grund eines tiefen Brunnens.
    »Was?«
    »Irgendetwas stimmt nicht.«
    »Was meinst du?«
    »Mein Kopf… mir ist schwindelig… es wird plötzlich… alles so schwer.«
    Jetzt, da sie es erwähnte, merkte ich, dass sich mein Kopf auch merkwürdig anfühlte.
    Vielleicht waren wir einfach hungrig.
    Doch als ich auf den leeren Krug zwischen meinen Beinen starrte, dämmerte mir, was geschehen war.
    »O Beth, ich glaube, wir sitzen ganz fürchterlich in der Scheiße.«

46. Kapitel
     
    Vi lehnte an der Eiche, als Andrew die Hütte betrat. Sie blickte auf die schwarze, von Dünengras umrandete Bucht, die im Westen zwischen den Kiefern verschwand. Wäre es eine klare Nacht gewesen, hätte sie erkennen können, wo sich die Bucht zum Sund hin weitete.
    Am Rande ihres Blickfelds bewegte sich etwas.
    Sie sah, wie ein schwarzer Schatten aus dem Wald trat und sich schnell auf die Hütte zubewegte.
    Zunächst hielt sie es für ein springendes Reh. Dann, als hätte sie einen Dämon erblickt, gefror ihr das Blut in den Adern und

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