Bob und wie er die Welt sieht
weiß, ob er etwas sieht oder ob er sich eventuell an einer Geruchsveränderung orientiert. Seine Erfolgsquote ist so unfehlbar, dass die Bewohner vor seiner Anwesenheit Angst haben. Er ist so etwas wie ein Todesengel in Katzengestalt. Ich hoffte sehr, dass Bob nicht deshalb so fürsorglich mit mir umging.
Als ich den Husten nicht mehr aushielt, machte ich einen Termin bei einem anderen Arzt, den mir ein Freund wärmstens empfohlen hatte. Dieser war tatsächlich etwas einfühlsamer. Ich erzählte ihm von meinen Hustenattacken, die meist mit Erbrechen endeten.
»Dann höre ich am besten mal Ihre Lunge ab«, sagte er, als ich ausgeredet hatte. Nachdem er mit dem Stethoskop lange und ausführlich an mir gelauscht hatte, ließ er mich einen Peak-Flow-Test machen. Dabei wurde gemessen, mit welcher Geschwindigkeit ich Luft aus der Lunge blasen konnte. Als Kind hatte ich Asthma gehabt und wusste daher, dass meine Lungen nicht besonders leistungsstark waren.
Danach war der Arzt leider nicht sehr gesprächig. Er saß da und machte sich Notizen. Viel zu viele für meinen Geschmack.
»Also, Mister Bowen, ich würde gern Ihre Lunge röntgen lassen«, wandte er sich nach endlosen Minuten endlich wieder an mich.
»Okay, okay!« Mehr brachte ich vor lauter Nervosität nicht heraus. Er druckte ein Formular aus und hielt es mir hin.
»Nehmen Sie das mit in die Homerton-Klinik. Die wissen dann schon, was sie zu tun haben.«
Mir war klar, dass er sich sehr vorsichtig ausdrückte. Die betonte Ausdruckslosigkeit in seinem Gesicht war bestimmt kein gutes Zeichen.
Ich nahm die Überweisung mit nach Hause und legte sie auf die Kommode im Flur. Mit der Zeit geriet sie in Vergessenheit. Ich hatte keine Lust auf diese Prozedur. Erst vor Kurzem war ich wegen einer Thrombose im Krankenhaus gelandet. Wenn sie mich wieder da behalten wollten? Wenn es etwas wirklich Schlimmes war? Ich mochte keine Krankenhäuser.
Außerdem war ich schon einmal in dieser Klinik gewesen, und das hatte mir gereicht. Stundenlanges Warten, umgeben von kranken Menschen. Frust und Langeweile pur. Ich redete mir ein, dass ich es mir nicht leisten konnte, einen ganzen Arbeitstag zu vergeuden.
Aber das waren natürlich alles nur faule Ausreden. In Wahrheit hatte ich eine Heidenangst vor dem, was diese Röntgenaufnahme aufdecken würde. Da hielt ich es doch lieber mit der Vogel-Strauß-Taktik. Ich glaubte wirklich, dass der Husten, das Erbrechen und all die anderen unangenehmen Begleiterscheinungen einfach vergehen würden, wenn ich nur lange genug den Kopf in den Sand steckte. Aber das war natürlich Unsinn. Es wurde nur noch schlimmer.
Bei einem Besuch im Verlag war das Maß dann allerdings voll. Inzwischen war auch ich überzeugt, dass es mein Buch tatsächlich geben würde. Sie hatten sich auf ein Cover geeinigt, auf dem Bob ganz gelassen auf meinem Rucksack thront. Auf dem Buchrücken prangte ein Bild von uns beiden, und innen gab es eine kleine Vita des Autors. Ich musste mich immer noch zwicken, um zu glauben, dass ich nicht träumte.
Leider bekam ich mitten in der Besprechung einen Hustenanfall. Ich bekam keine Luft mehr, und mein Magen verkrampfte sich. Gleich würde ich kotzen. Mit Handzeichen entschuldigte ich mich und floh zur Toilette. Das hinterließ bestimmt keinen guten Eindruck. Wer weiß, was meine Mentoren jetzt von mir dachten. Einem Drogensüchtigen auf Entzug konnte man ja nicht über den Weg trauen. Ich konnte es ihnen nicht einmal übel nehmen, wenn sie so dachten.
Ich wollte nie wieder in so eine peinliche Situation kommen; ein zweites Mal durfte das nicht passieren. Die Buchveröffentlichung im März stand vor der Tür, und der Verlag hatte mir gesagt, dass ich ein paar Interviews geben sollte und vielleicht sogar mit Bob in eine Fernsehsendung eingeladen würde. Sie planten auch eine Signierstunde, wo ich Leser treffen sollte. Das klang alles sehr weit hergeholt, aber ich musste meinem Husten nun doch endlich auf den Grund gehen und mich röntgen lassen.
Leider hatte ich die Überweisung inzwischen verloren. Ich musste also noch einmal in die Praxis.
»Sie waren noch gar nicht beim Röntgen?«, fragte der Arzt fassungslos, nachdem er seinen Computer befragt hatte.
»Ähm, nein, ich bin nicht hingegangen. Ich hatte keine Zeit. Da steht man einen ganzen Tag herum und wartet«, versuchte ich mich zu verteidigen. Unter seinem strengen Blick kam ich mir vor wie ein kleiner Schuljunge, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. »Ich habe
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