Bobbie Faye 01 - Schlimmer Geht Immer
sauer.
»Wirst du Onkel Roy wieder heil machen?«
Sie umarmte ihre Nichte. »Ich werde auf jeden Fall mein Bestes tun.«
2
Bobbie Faye ist die Chaostheorie.
Ein früherer Karatelehrer, der Bobbie Faye aufgefordert hatte, »mal richtig zuzuschlagen«. Die chirurgische Rekonstruktion seiner Nase macht gute Fortschritte.
Bobbie Faye überredete einige Nachbarn, ihr dabei zu helfen, so viel aus dem Wohnwagen zu retten wie nur irgend möglich. Die anderen Leute auf dem Trailerplatz, die eine ordentliche Katastrophe sofort erkannten, wenn sie sie sahen, stellten bereits Grills auf und öffneten die bis oben hin mit Bier gefüllten Kühlboxen. Ein paar ungehobelte Besoffene diskutierten darüber zu wetten, ob Bobbie Faye heute noch jemanden töten würde oder nicht.
»Das ist so, als würde man raten, ob eine Ente noch fliegen wird«, protestierte einer der Betrunkenen. »Da musst du schon genauer werden.« Während Bobbie Faye sich entfernte, begannen die Kerle, eine Katastrophen-Tippgemeinschaft zu bilden, ganz ähnlich wie bei Sportwetten, und zeichneten eine Tabelle. Den Spalten wurden die einzelnen Katastrophen zugeordnet und den Zeilen die Tageszeiten. Da ihr ständig irgendwelche Katastrophen passierten, ging es darum, richtig zu tippen, zu welcher Zeit eine eintraf.
Und es war gerade erst sieben Uhr morgens.
Die Bank machte nicht vor neun auf. Bobbie Faye hatte keine Ahnung, wie sie es schaffen sollte, bis dahin nicht auszurasten. Vielleicht würden die Betrunkenen heute ein Vermögen machen.
Sie kämpfte sich mit den letzten Stücken, die ihr noch am Herzen lagen, aus dem Trailer – den gerahmten Familienfotos. Stacey hockte da und sah ihr dabei zu, wie sie das Kondenswasser von der Innenseite des Glases abwischte und dann alles wieder zusammensetzte, stets darauf bedacht, jeden einzelnen der billigen Holzrahmen zu retten. Es waren einfache Schnappschüsse in Farbe: einer von Bobbie Faye, als sie ihren ersten Zahn verloren hatte, einer von ihrem Schulabschluss, ein Foto aus der Zeit, als sie einen Gipsarm getragen hatte, und eins, auf dem sie zehn Jahre alt war und mit dem achtjährigen Roy und ihrer damals vierjährigen Schwester Lori Ann auf einem altmodischen Spielplatzkarussell mit einem metallenen Dach aus Sternen und Halbmonden saß. Es zeigte eine der wenigen glücklichen Kindheitserinnerungen.
Sie war gerade mit den Bilderrahmen fertig, als ihre Freundin Nina eintraf, aufgestylt wie für den Laufsteg, in rosa Stilettos und einer hautfarbenen Bluse. Der Stoff war so hauchdünn, dass Bobbie Faye zweimal hinsehen musste, um zu erkennen, ob sie überhaupt etwas trug. Einer ihrer Nachbarn schien das gleiche Problem zu haben, und zwei andere Männer fielen von der Treppe ihrer Trailer, als Nina an ihnen vorbeiging und die beiden sich neugierig die Hälse nach ihr verdrehten.
Bobbie Faye verzog das Gesicht, als sie die einzigen halbwegs trockenen Kleidungsstücke betrachtete, die sie aus dem überschwemmten Kleiderschrank hatte retten können: eine tief sitzende Jeans, die einen Tick zu klein war, und ein winziges weißes T-Shirt auf dem stand: Knack mich, lutsch mich, iss mich roh! (und darunter: Muscheln aus Louisiana ). Ihre Schwester hatte es ihr aus Jux zu Weihnachten geschenkt. Bobbie Fayes alte, abgewetzte Cowboystiefel vervollständigten das Ensemble.
Sie seufzte. Natürlich war sie an Ninas majestätische Schönheit gewöhnt. Sie selbst konnte ihre verfilzten Locken meistens kaum durchkämmen, während ihre Freundin vermutlich ein kleines Dritte-Welt-Land im Sturm hätte erobern können, ohne dass ihr cooler blonder Kurzhaarschnitt auch nur ansatzweise in Unordnung geraten wäre. Seit dem Kindergarten waren sie beste Freundinnen und hatten irgendwann den Spitznamen »Feuer und Eis« verpasst bekommen. Nina war einer der wenigen Menschen, denen Bobbie Faye all ihre weltlichen Besitztümer anvertrauen würde. Sie warf einen Blick auf die hellgrünen Plastikschmetterlinge in den ausgedörrten Blumenbeeten, aus denen sie eines Tages mal einen Garten hatte machen wollen, und dachte, dass sie das Wort »weltlich« vielleicht wieder aus diesem Satz streichen sollte.
Nina grinste Bobbie Faye gnadenlos an und zwinkerte ihr über den Rand ihrer Ray Ban zu. »B., du bist der erste Mensch, den ich kenne, dem es gelungen ist, einen Trailer zu ertränken.«
»Leck mich!«
Stacey riss die Augen auf und blickte zwischen Bobbie Faye und Nina hin und her, welche die Kleine sofort hochnahm und an sich
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