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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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vier hatten eine lange Fahrt hinter sich, sechs Stunden von Haus zu Haus, und Dirk war müde, gereizt und fett.
    Die wenigsten Politiker sind heutzutage noch fett – entweder arbeiten sie mehr als früher, oder moderne Wählerschaften haben ihrer Vorliebe Ausdruck verliehen, beide Seiten der Person, für die sie stimmen, zu sehen, ohne sich vorbeugen zu müssen –, aber Dirk sah aus, als hätte er sich diesem Trend erfolgreich widersetzt. Er war die leibhaftige Erinnerung an ein früheres Jahrhundert, als man die Politik noch nachmittags zwischen zwei und vier erledigte, bevor man sich in eine Kostümhose quetschte und zum Abend mit Piqué und Gänseleberpastete den Salon aufsuchte. Er trug einen Trainingsanzug und Pelzstiefel, was für Holländer gar nicht so ungewöhnlich ist, und auf seiner Brust baumelte eine Brille am rosa Bindfaden.
    Rhona und er standen mitten im Foyer und dirigierten den Transport ihrer luxuriösen Gepäckstücke, die ausnahmslos den Aufdruck Louis Vuitton trugen, während ihre Töchter sich auf dem Boden anfauchten, traten und im neunten Kreis der Hölle Pubertät schmorten.
    Ich beobachtete sie von der Bar aus, Bernhard vom Zeitungsstand.
     
    Am nächsten Tag finde die Hauptprobe statt, hatte Francisco gesagt. Geht alles in halbem Tempo durch, Vierteltempo, wenn’s sein muß, und wenn ein Problem auftaucht oder etwas, was eins werden könnte, brecht ihr ab und eliminiert es. Am Tag darauf sollte die Generalprobe stattfinden, alles mit normaler Geschwindigkeit und mit einem Skistock als Gewehr, aber heute war Hauptprobe.
    Bernhard, Hugo und ich bildeten das Team, Latifa stand in Bereitschaft; wir hofften, daß wir sie nicht brauchen würden, denn sie konnte nicht Ski laufen. Dirk auch nicht – in den Niederlanden gibt es nur wenige Hügel, die höher sind als ein Zigarettenpäckchen –, aber er hatte seinen Urlaub bezahlt, hatte für einen Paparazzo gesorgt, der den sorgenzerfressenen Staatsmann in seiner kargen Freizeit abzulichten hatte, und jetzt sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn er es nicht probierte.
    Wir beobachteten Dirk und Rhona beim Mieten ihrer Ausrüstung, wo sie grunzend in Skistiefeln herumtrampelten; wir beobachteten sie, als sie den Idiotenhügel fünfzig Meter hochstapften und alle paar Schritte stehenblieben, um die Aussicht zu bewundern oder mit der Ausrüstung herumzualbern; wir beobachteten sie, als Rhona ihre Skispitzen hangabwärts ausrichtete und Dirk hundertfünfzig Gründe fand, sich nicht von der Stelle zu rühren; und dann, als uns das lange Stillstehen und Nichtstun schon zum Hals raushing, sahen wir endlich, wie der stellvertretende Finanzminister der Niederlande mit stressbleichem Gesicht zehn Meter den Hügel hinabrutschte und sich auf den Hosenboden setzte.
    Bernhard und ich sahen uns an. Zum ersten Mal, seit wir angekommen waren, und ich mußte wegsehen und mich am Knie kratzen.
    Als ich wieder zu Dirk hinübersah, lachte auch er. Sein Lachen sagte, mir schwappt das Adrenalin literweise aus den Nebennieren, ich dürste nach Gefahr wie andere Männer nach Wein und Weib. Ich gehe unendliche Risiken ein, und von Rechts wegen sollte ich längst tot sein. Meine Uhr ist abgelaufen.
    Sie wiederholten die Übung dreimal und wagten sich vor jedem Lauf einen Meter weiter den Hang hinauf, bevor Dirks Fett ihm zu schaffen machte und sie sich zum Mittagessen in ein Café zurückzogen. Als die beiden durch den Schnee davonstampften, sah ich wieder am Berg hoch und suchte ihre Töchter, weil ich wissen wollte, wie gut sie auf Skiern waren und wie weit sie sich also an einem durchschnittlichen Tag vorwagen würden. Wenn sie steif und unbeholfen waren, würden sie wahrscheinlich eher auf den Anfängerhügeln in Reichweite ihrer Eltern bleiben. Wenn sie dagegen gut waren und Dirk und Rhona nur halb so sehr haßten, wie es den Anschein hatte, dann mußten sie jetzt schon in Ungarn sein.
    Ich konnte sie nirgends entdecken und wollte mich gerade an die Abfahrt machen, als mir ein Mann ins Auge fiel, der auf dem Kamm über mir stand und ins Tal hinabsah. Er war zu weit weg, als daß ich seine Gesichtszüge hätte erkennen können, aber trotzdem war er grotesk auffällig. Nicht nur, weil er weder Skier noch Skistöcke, Skistiefel oder Sonnenbrille, ja nicht einmal eine Wollmütze trug.
    Nein, auffällig machte ihn der braune Regenmantel, den er sich auf die Anzeige auf den letzten Seiten des Sunday Express hin gekauft hatte.
     

18
     
    Mich dünkt, die Nacht ist

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